Jedermanns Superweib
Berliner Tagesspiegel, 21. August 2005, von Peter von Becker
Alma Mahler-Werfel verführte die Genies des 20. Jahrhunderts
- von ihrem Leben erzählt das verrückteste Sommertheater
des Jahres
Ein Schloss über der Donau und einem der letzten Urwälder
Europas, verwunschen, riesig und spukhaft schön. Dort
sind wir bei Kerzenschein im barocken Freskensaal dazu eingeladen,
den Geburtstag der einst berühmtesten Liebhaberin und
berüchtigsten Künstlerwitwe des 20. Jahrhunderts
zu feiern. "Nichts schmeckt besser als das Sperma eines
Genies", das war ein Leitsatz der Wiener Weltbürgerin
Alma Mahler-Werfel. Ihr Lebenswind hat sie durch die Hauptstädte
Europas bis nach Hollywood und New York getrieben, hinweg
über Kriege und Holocaust, in triumphale Skandale und
katastrophale Leidenschaften.
Jetzt reisen wir mit ihr zum Begräbnis des Komponisten
Gustav Mahler, ihres ersten Gatten, und im Hof des Schlosses
rappelt der schwarze Fiaker mit dem Sarg, leuchten Fackeln,
braust Mahlers unvollendete 10. Symphonie durch die Sommernacht.
Oder wir folgen Alma und ihrem dritten Gemahl, dem Dichter
Franz Werfel, ins Heilige Land, 1929 nach Palästina;
dabei geht1s mit einem Traktor hinaus aus dem erleuchteten
Schloss, das gegen den Gewitterhimmel steht und zuckende Schatten
wirft auf die Büsche im Park.
Immer wieder aber haben wir sie im Inneren des Schlosses,
in Badegrotten, Bettgemächern und Festsälen auch
zum Greifen nah: die göttliche, die teuflische Alma,
jung und alt, in mehrfacher Gestalt. Eine Frau wird besichtigt,
die zwar die Nazis hasste, aber ihre zumeist jüdischen
Ehemänner und die meist "goiischen" Liebhaber
mit stichelnder Lust gegeneinander ausspielte. Alma, die selbst
komponieren und scharfzüngig formulieren konnte, hat
von der minderjährigen Muse bis zur lustigen und zur
tragischen Witwe alle denkbaren Rollen verkörpert: verbunden,
verstrickt mit Mahler und Werfel, mit dem Wiener Künstlerfürsten
Gustav Klimt und dem Berliner Bauhaus-Architekten Walter Gropius,
dem Maler Oskar Kokoschka oder gar einem Priester mit dem
schönen Namen Höllnsteiner. Als sie 1964 in New
York mit 85 Jahren starb, soll eine Wiener Freundin von ihr
gesagt haben: "Alma war eine große Dame und zugleich
eine Kloake."
Für eine Wiederauferstehung in solchem Format bedarf
es mehr als der schieren Schauspielerei. Dieses Alma-Spektakel
gäbe es nicht ohne einen der raren wahren Tollköpfe
des Theaters und Films unserer Tage, den Regisseur, Akteur,
Impresario und Kunstwahnsinnigen Paulus Manker. Auch er ist
naturgemäß ein Wiener, stämmig, mit schwarzgrauer,
schütterer Mähne und seinen 47 Jahren einer, der
sich schon in vielen Rollen präsentiert hat, beispielsweise
bei Regiemeister Peter Zadek als Richard III. Manker verfiel
also auf die zunächst verrückt erscheinende Idee,
dass Alma mit ihren illustren Männern noch einmal die
Orte ihres realen Lebens besucht, in und um Wien herum, in
Venedig, Lissabon oder Los Angeles. In eben diese Städte
ist die Aufführung "Alma - A Show Bizz ans Ende"
dann tatsächlich gereist, hat vor Zehntausenden in Palästen,
Konventen und in Down Town L. A. in den Goldstucksälen,
Spiegelfoyers und Marmortoiletten des prächtigsten, einst
für Charlie Chaplin erbauten Hollywood-Kinos gespielt.
Jetzt, an die Donau zurückgekehrt, feiern die "Almaniacs"
diese Woche nicht nur Almas 126. Geburtstag, sondern auch
die 250. Vorstellung. Da haben wir uns aufgemacht: zum wohl
grandiosesten, verrücktesten Sommertheater des Jahres.
Statt "Jedermann" das Superweib.
Paulus Manker also lädt ein ins Schloss. Nach Wien?
Das ist schon fast richtig. Allerdings geht es vom östlich
gelegenen Flughafen Schwechat noch 30 Kilometer weiter nach
Osten, Richtung Bratislava und Budapest, in die Nähe
der slowakischen und ungarischen Grenze. Dort sieht es, von
platteben bis sanft hügelig, ein wenig aus wie in Brandenburg.
Wir halten in der Ortschaft Carnuntum, es gibt nur ein Hotel,
und das heißt Marc Aurel. Vom Wirtschaftswunder des
Landes wirkt das hingeduckte Straßendorf noch wenig
erfasst, trotzdem locken am Ortsrand Kultur und Geschichte.
Auf Plakaten wirbt man für Gladiatorenkämpfe, und
ein Welttheater-Festival hat im Juli den rumänischen
Hollywoodstar Maia Morgenstern gezeigt. Wir erfahren, dass
in vergangenen Jahren hier open air auch schon Peter Stein
und Gérard Depardieu gastierten und noch etwas früher
der philosophierende Kaiser Marc Aurel.
Dieses Dorf Carnuntum nämlich hatte einst 70 000 Einwohner
und war eine der nordöstlichen Bastionen des römischen
Weltreichs, wovon neben dem verwitterten Amphitheater ein
von jungen, emsig scharrenden Archäologen bevölkertes
Ausgrabungsfeld mit kleinem Museum zeugt. "In Carnuntum
spielen auch Schlüsselszenen von Ridley Scotts ,Gladiator",
erzählt Paulus Manker später. Da stehen wir nach
der Alma-Schau im nächtlichen Hof des Schlosses Petronell,
das sich hinter einem Kastanienhain und den römischen
Mauerresten wie eine ganz eigene Kinokulisse erhebt. Als der
Abend beginnt, sitzt der Regisseur, Mitspieler und Veranstalter
freilich noch vor dem gerade entriegelten Schlosstor, kontrolliert
die Billetts, wird von Bittstellern angegangen, ihnen ausnahmsweise
noch Karten für die seit Monaten ausgebuchten Vorstellungen
zu verkaufen. Die meisten dieser späten Gäste haben
Erfolg.
Drüben im Ort, an der Landstraße gibt es keine
Werbung, keinen Hinweis auf Alma. Aber die knapp 250 Zuschauer,
deren Autos unter den Kastanien überwiegend Wiener, aber
auch englische, holländische, bayerische und Berliner
Kennzeichen tragen, sie finden ihren Weg. Jeder hat knapp
100 Euro Eintritt bezahlt, und würden die Logistik und
die von der Alma-Produktion mit eigenem Koch betriebene Schlossküche
mehr Gäste verkraften, könnten sie bis zur letzten
Vorstellung am 4. September jedes Mal, sagt Manker, 1000 Tickets
verkaufen.
Die Aufführung spielt zwei Monate lang jeweils Donnerstag
bis Sonntag in drei Flügeln des Schlosses plus Innenhof
und Park. Dabei können die Zuschauer nach eigener Wahl
verschiedenen Handlungssträngen mit drei jungen Almas
und einer alten folgen, von den Katakomben über Muschelgrotten
in Schlafzimmer, Treppenhäuser, Bankettsäle - und
in der Mitte des vierstündigen Spektakels lädt Alma
anlässlich Gustav Mahlers Begräbnis alle Besucher
zu einem mehrgängigen Leichenschmaus, mit österreichischen
und südländischen Spezialitäten, mit Schampus,
Weinen und Kaffee im Kerzenschein.
Es gibt Almaniacs, die haben so schon mehr als 70 Vorstellungen
auf zwei Kontinenten genossen, und Paulus Manker kennt ein
wohlsituiertes Wiener Paar, deren Tochter bei einer der Aufführungen
gezeugt wurde, zwischen Liebesräuschen, Eifersuchtskriegen,
Künstlerdramen. Das eigentliche Stück schrieb auf
Mankers Anregung der israelische Dramatiker Joshua Sobol,
Verfasser auch des von Peter Zadek in Berlin uraufgeführten
KZ-Musicals "Ghetto".
1996 war dann Premiere im Rahmen der Wiener Festwochen, man
spielte damals im ausgeräumten historischen Sanatorium
Purkersdorf am Westrand von Wien und wurde schnell Kult. Manker
drehte 1999 eine Filmversion, gründete einen Alma-Trägerverein,
fand Sponsoren beim Staat, bei Banken, Weingütern, Zuckerbäckern
und Unternehmen von VW bis Meinl-Kaffee. Erste Alma-Darstellerinnen
waren die im Juni 2005 verstorbene Grande Dame des österreichischen
Theaters Susi Nicoletti und der Jungstar Johanna Wokalek;
heute spielt die wunderbare ehemalige Brecht-Actrice Eleonore
Zetzsche vom Berliner Ensemble die auf ihr Leben und ihre
Lieben zurückblickende Geburtstags-Alma; und Paulus Manker
gibt seit Anbeginn den Maler Oskar Kokoschka, der seine Geliebte
1914 als Windsbraut verewigt. Nach der raserischen Trennung
1915 lässt er sie als lebensgroße, in anatomischen
Details dem Original gespenstisch ähnliche Puppe nachbilden,
um sie dann in orgiastischer Wut zu enthaupten.
Die spielerische Beschwörung dieser Jahrhundert-Biografie
balanciert als Mischung aus großer Revue und intimer
Zimmerschlacht auf der Schneide zwischen Kitsch und Kunst
- wie Alma Mahler-Werfels Leben selbst. Am Morgen oder besser
Mittag nach der Vorstellung empfängt Paulus Manker, der
im prunkvoll-morbid vergammelten Schloss Petronell übernachtet
hat, in einem weißen Hotelbademantel, ansonsten unbekleidet,
nur mit Kaffee und Handy bewaffnet. In seinen Interviews bezeichnet
sich der Endvierziger bisweilen als "exzentrisches Arschloch",
dabei spielt Manker mit dem Wiener Schmäh in der Stimme
am liebsten das Himmelsteuferl: eine Mischung aus Darling
und Scheusal. Gestern Nacht war er noch der kokoschkanische
Kraftkerl, der seiner jungen Alma in Gestalt der hübschen
Schauspielerin Marina Stilp zwischen die Beine sprang und
später, zum Finale im großen, kerzenschimmernden
Freskensaal, die Alma-Puppe köpfen und in den Schlosshof
werfen ließ, nun ist er ein ausgeruhter Pascha. Mit
seinem Handy weiß er vor allem Mitarbeiterinnen draht-
und grußlos auf Trab zu halten.
Ein Windstoß fegt gerade ein paar frisch gewaschene
Alma-Kostüme vom Wäscheständer vor der barocken,
bröckelnden Freitreppe, da führt der barfüßige
Manker hoch in die erste Schlossetage, wo in einer schummrigen
Erker-Kapelle die Büste der vollbusigen Alma steht. An
der Wand hängen die Totenkränze der Ehemänner,
und die halbe Alma sieht so wächsern lebensecht aus wie
bei Madame Tussauds, doch ist sie aus Marzipan - Kitsch und
Kunst, vom Wiener Zuckerbäcker Deml. Diese schaurig-schöne
Todessüße freilich passt zum Ort, zur Almanie,
zu Paulus Manker auch. Der stammt selber aus einer der großen
Künstlerfamilien Wiens, und außer den widerstreitenden
Seelen in der mächtigen Brust besitzt er einen klugen,
gebildeten Kopf. Mit dem erstaunlichen Ausstatter Georg Resetschnig
hat er die kahlen Schlossräume aus dem Fundus vor allem
des Wiener Burgtheaters à la Boheme möbliert.
Außerdem hat Manker aus Leihgaben und seiner eigenen
Sammlung ein kleines Alma-Museum eingerichtet: mit Autographen
Almas und einem Faksimile der Partitur jener unvollendeten
10. Mahler-Symphonie, die der Komponist mit handschriftlichen
Stoßseufzern und Lustschreien für seine Frau versah.
Freilich sind einzelne Blätter auch beschnitten - vielleicht,
weil der Witwe die weniger schmeichelhaften Eintragungen nicht
passten? Sie war eine Matrone und Meduse, ein paar Kinder
starben ihr früh, Almas Tochter Anna brachte den jungen
Elias Canetti fast um den Verstand, Männern und Künstlern,
die fielen, gab die herrische Diva bisweilen noch einen höhnischen
Stoß, und in ihren - wo nicht wahren, so glänzend
erfundenen - Memoiren steht der Satz: "Ich teile die
Menschen ein in Feste-Bringer und Feste-Störer."
Für Almas neuerliches Geburtstags- und Lebensfest hat
Manker, nachdem Purkersdorf verkauft wurde, das leer stehende
Schloss über den wilden Donau-Auen gemietet. Hinter dem
Park beginnt ein sumpfiger Dschungel mit Kormoranen, Knoblauchkröten,
Schlangen und Bibern, Mitteleuropas größtes Biotop.
Hier tobte vor 20 Jahren die Schlacht um Hainburg, die Nachbarstadt,
wo Österreichs Ersatz-68er den Bau eines Kraftwerks verhinderten.
Und der junge Manker war dabei. Jetzt herrscht er an 35 Sommerabenden
über Petronell, was ihn und seinen Alma-Verein gut eine
halbe Million Euro kostet. Knapp ein Drittel kommt aus Subventionen
und von Sponsoren. Mehr als 40000 Kerzen und 5000 Fackeln
hat Alma in zehn Sommern verbrannt. Mehr jedoch als ein Ferienfest
ist nie möglich, weil Mankers Mitspieler wie Helmut Berger
(als Mahler) oder Nikolaus Paryla (Werfel) ihre Theater- und
Fernsehengagements haben.
Manker selbst will für neue Projekte in Wien nächstes
Jahr ein eigenes Theater übernehmen. "Welches, sage
ich noch nicht", meint er mit einem leisen, breiten Lächeln.
"Aber das sollte uns nicht abhalten, mit Alma auch mal
nach Berlin zu kommen. Dort war sie mit Gropius, das wär'
doch was für die Berliner Festspiele!" Der Mann
hat Ideen.
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