Geniefresserin
Petra Reski, Die Zeit
Nr. 36 / p. 40, Donnerstag 29.8.2002
Als Alma auf den Küchentisch steigt, sitzt ihr ein kleiner
Schwuler im kanariengelben Hawaiihemd im Weg. Er will graziös
zur Seite rücken, aber da ist sie bereits über ihn
hinweggestiegen wie über eine Topfpflanze, zerreißt
fauchend Mahlers Notenblätter und verhöhnt dessen
Liebhaberqualitäten. Als Alma die Küche verlässt,
lächelt der Mann in Gelb erleichtert: Gut, dass man so
eine Furie nicht zu Hause hat! Alma a Venezia ist mehr als
ein Theaterstück. Es ist Menschen-beim-Leben-Zugucken.
Dem Leben der Zauberfrau und Geniefresserin Alma Mahler-Werfel
und ihrer Genies. Mahler, Werfel, Gropius. Beim Baden. Beim
Verlassenwerden. Beim Sterben. Eine Theaterreise durch Almas
Leben vom ersten Kuss von Gustav Klimt bis zur Enthauptung
durch Oskar Kokoschka der sich erst von ihr befreien
konnte, als er einer lebensgroßen Puppe den Kopf abriss.
Mit der Aufführung im Palazzo Zenobio in Venedig (täglich
bis zum 21. September, Karten unter Tel. 0039-388/611 91 31)
schließt der Wiener Regisseur Paulus Manker an den Erfolg
des Theaterstücks Alma. A Show Biz ans Ende an, das im
Sanatorium Purkersdorf bei Wien jahrelang Almas Verehrer auf
Trab hielt. Beweglich muss man auch sein, um Alma a Venezia
zu genießen. Den der Autor Joshua Sobol hat ein Polydrama
geschaffen Almas Leben läuft synchron in allen
Räumen und im Park des Palazzos ab. Der Zuschauer entscheidet
selbst, welcher der vier Almas er folgen will: ins Musikzimmer,
um Kokoschkas (Paulus Manker) Vergewaltigungsversuch mitzuerleben,
oder ins Badezimmer, um mit Werfel (Nikolaus Paryla) Zeuge
von Almas Antisemitismus zu werden? Theater, das riecht wie
das Leben. Nach Mahlers Beerdigung gibt es Wiener Schnitzel.
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