12c A FRIENDLY TALK WITH DR. ELSTER
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Februar 1934. FRANZ WERFEL sitzt in einem Cafe in Santa Margherita
und schreibt in sein Notizbuch. DR. HANNS MARTIN ELSTER kommt
dazu.
ELSTER Franz?!
WERFEL Hanns?
Wie kommst du denn hierher?! Es ist ja nicht zu glauben! Das
ist ja eine Überraschung! Was bringt dich denn hier nach
Santa Margherita?
ELSTER Du
natürlich. - Nein, nein, keine Sorge, ich mache nur Spaß.
Ich bin auf meiner Rückreise nach Berlin. Ich hab' hier
nur zufällig Station gemacht. Aber was machst du denn
hier, wenn ich fragen darf?
WERFEL Ach!
Ich versuche zu arbeiten.
ELSTER Machst
du Witze?! Du arbeitest? Dein neues Buch wird dich in Amerika
zum Millionär machen, was brauchst du da noch arbeiten?!
WERFEL Es
ist noch nicht übersetzt worden.
ELSTER Glaube
mir, das ist nur eine Frage der Zeit. Ich sehe dein Buch schon
als Hollywood-schinken: «The Forty Days of Moses Duck»,
based on a novel by Franz Werfel! Der Titel ist übrigens
hervorragend. Wirklich exzellent! Du wirst in kürzester
Zeit zu einem armenischen Volkshelden werden.
WERFEL Du
wirst lachen, aber ich bekomme wirklich sehr bewegende Reaktionen
von den armenischen Lesern. Aber, um die Wahrheit zu sagen,
auf die deuschen Reaktionen bin ich noch mehr gespannt. Schließlich
bin ich ja ein deutscher Dichter.
ELSTER Oh,
ja! Natürlich! Natürlich!
WERFEL Übrigens
- ist das nicht komisch, ich habe bis jetzt noch immer keine
Antwort auf mein Ansuchen zur Aufnahme in den Reichsverband
deutscher Schriftsteller... ?
ELSTER Wirklich?
Das ist ja komisch...
WERFEL Glaubst
du, das ist, weil ich Tscheche bin?
ELSTER Naja,
das könnte ein Grund sein...
WERFEL Obwohl
ich immer wieder betont habe, daß ich in Wien lebe und
daß ich zur deutschsprachigen Minderheit in der Tschechoslowakei
gehöre.
ELSTER Oh,
das war sehr klug von dir.
WERFEL Das
Buch hat eine so positive Resonanz gefunden, und zwar einhellig!
Die Kritiken waren ja... euphorisch! Überall. In den
Literaturzeitschriften, im Feuilleton, es gab einige phantastische
Besprechungen im Ausland, ich weiß nicht, von Amsterdam
bis Madrid. Das Buch ist ein wesentlicher Beitrag zum Ansehen
der zeitgenössischen deutschen Literatur in ganz Europa!
Oder nicht?
ELSTER Aber,
ich bitte dich! Gar keine Frage! Übrigens - was hat dich
denn eigentlich auf die Idee gebracht, diese Geschichte zu
schreiben? Eine Geschichte des armenischen Volkes... Wen interessiert
das? Was war denn dein... Anstoß? Oder wer? Waren es
reiche Armenier in den USA oder...
WERFEL Aber
nein! Es war auf einer Reise nach Palästina...
ELSTER Ach!
Du warst in Palästina... ? Schau einer an.
WERFEL Ja,
1929, vor fünf Jahren, mit Alma.
ELSTER Das
ist ja wirklich bemerkenswert!
WERFEL Es
war schon mein zweiter Besuch in Palästina. Ich bin 1925
schon einmal da gewesen.
ELSTER Und?
Wie fandest du es?
WERFEL Oh,
wunderbar! Wunderbar! Es ist wirklich unglaublich, wie schnell
sich dieses Land in nur 5 Jahren entwickelt hat. Du mußt
dir mal vorstellen, was die in der kurzen Zeit alles erreicht
haben!! Auf dem Gebiet der Landwirtschaft, der Industrie,
im Wohnbau, Gesundheitswesen, Gewerkschaften...
ELSTER Du
meinst die jüdischen Einwanderer?
WERFEL Naja,
natürlich. Die sind fabelhaft! Ganz großartig.
Wirklich.
ELSTER Warum
bist denn nicht dort geblieben?
WERFEL Ich
bitte dich! Ich bin kein Zionist...
ELSTER Na,
du bist aber doch Jude? Möchtest du nicht Teil des Wunders
sein, das deine Leute dort vollbringen?
WERFEL Nein,
ich... ich...
ELSTER Also
Franz, um ehrlich zu sein, das verstehe ich nicht. Als deutscher
Patriot ist mir das ein Rätsel. Hegst du denn keine patriotischen
Gefühle für dein Land, dein Volk, deine Rasse?
WERFEL Ich
bin Patriot meines Landes, auch meines Volkes. Ich bin Deutscher.
ELSTER Du
bist Deutscher?... Dann verstehe ich aber immer noch nicht,
was dich auf die verrückte Idee gebracht hat, die «40
Tage des Musah Dagh» zu schreiben. Tut mir leid.
WERFEL Von
Palästina sind wir damals noch weiter nach Damaskus,
und auf der Straße nach Damaskus da haben wir einige
von diesen Armeniern getroffen, die dem Massaker damals entronnen
sind. Du weißt doch - die Türken haben ja dieses
grauenvolle Massaker da angerichtet... ?
ELSTER Ja,
ja.
WERFEL Und
die haben mir einfach ihre Geschichten erzählt, das war
wirklich unglaublich. Der absolute Horror. Unvorstellbar!
Unvorstellbar! Diese Türken haben das gesamte armenische
Volk ausgerottet! Stell dir das mal vor! Ein ganzes Volk!
ELSTER Kennst
du auch die türkische Version?
WERFEL Na,
entschuldige mal! Was interessiert mich die Seite der Mörder?
ELSTER Die
sind aber zufällig unsere Verbündeten, also zumindest
waren sie das im (Welt-)Krieg.
WERFEL Was
hat das denn mit meinem Buch zu tun?
ELSTER Franz,
ich fürchte, ich habe die traurige Aufgabe, dich davon
in Kenntnis zu setzten, daß gemäß §
7 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des
deutschen Volkes dein Buch im gesamten deutschen Reich beschlagnahmt
und landesweit eingezogen wurde.
WERFEL Mein
Buch ist was?!
ELSTER Die
Presse hat die Entscheidung einstimmig befürwortet.
WERFEL Die
Presse hat...? - Das ist doch nicht dein Ernst?
ELSTER (zieht
ein Päckchen Zeitungsausschnitte hervor) Hier, überzeuge
dich selbst.
WERFEL Aber
mein Ansuchen?
ELSTER Sag
mal Franz, Franz! Jetzt ganz im Ernst, spinnst du? Du hast
doch nicht wirklich damit gerechnet, daß du auf dieses
Ansuchen eine Antwort bekommst?
WERFEL Warum
denn nicht?!!
ELSTER Franz,
glaube mir, du wirst keine Antwort bekommen. Nicht einmal
eine negative.
WERFEL Und
warum, bitte, nicht?
ELSTER Weil
du Jude bist, Franz.
WERFEL Aber
ich bin ein deutscher Schrifsteller!
ELSTER Franz,
Franz, Franz! Wie kann man nur so blind sein? Ihr Juden seid
doch sonst immer so clever, so allwissend. Man kann doch nicht
so dumm sein! Hast du von der nationalsozialistischen Revolution
in Deutschland nichts mitgekriegt? Oder hast du es nicht begriffen?
Wartest du darauf, daß sie dich in den Arsch treten
und dich aus dem Lande jagen, damit du endlich begreifst,
daß für dich dort kein Platz mehr ist? Du bist
in Deutschland nicht mehr erwünscht. Verstehst du? Du
als Einzelner nicht und als Mitglied deines Volkes schon gar
nicht. Du hast Palästina kennengelernt. Du warst da!
Um Gottes Christi Willen, warum bist du denn nicht dortgeblieben?!
WERFEL Ich...
aber... ich... ich versteh' nicht... Ist das eine offizielle
Mitteilung oder was -
ELSTER Franz,
hör zu, ich bin hier nicht zufällig vorbeigekommen.
Ich bin gekommen, um dich zu warnen. Als Freund. Ich gebe
ich dir einen freundschaftlichen Rat: Fahr nach Palästina.
Hast du mich verstanden? Fahr! Fahr! So schnell du kannst.
Ich rate es dir gut. Noch ist es Zeit, Deutschland zu verlassen,
noch erlaubt man es dir. Noch kannst du deine Haut retten.
Bleibe nicht in Europa! Fahr! Fahr! Fahr! Und warte ja nicht,
bis du eine «offizielle Mitteilung» bekommst!
Warte ja nicht! Denn diese «offizielle Mitteilung»
wird dir nicht mit der Post zugestellt werden, sondern mit
dem Revolver. Durch eine Kugel in den Kopf. Oder in den Nacken.
Hast du verstanden? Also. Und noch etwas - du hast mich nicht
gesehen, du hast mich nicht getroffen, wir haben uns nicht
gesprochen, wir kennen uns nicht. Dieses Treffen hat nicht
stattgefunden. Schreibe mir keine Briefe mehr, und bitte mich
nicht, für dich zu intervenieren. Weder in offiziellen
noch in Privatangelegenheiten. Du gefährdest dich und
mich damit. Ist das klar? - Adieu, Franz. (Er geht.)
WERFEL (greift
zum Telefon und wählt Almas Nummer:) Alma?! Hör
zu. Ich erzähle dir alles, sobald wir uns sehen. Alles,
was ich im Moment sagen kann ist, daß ich vor dem Nichts
stehe. Vor den Ruinen meines Lebens. Meine Werke sind verboten
worden. Ich werde aus dem Buch und aus den Büchern der
Lebendigen gestrichen. Und da ich ja schließlich ein
deutscher Autor bin, hänge ich im leeren Weltraum.
ALMA Ich
fahre noch heute Abend. Morgen bin ich bei dir, Franz. Mach
dir keine Sorgen. Ich lasse alles in Wien zurück. Wohin
immer du gehst, ich gehe mit dir. Hab keine Angst, ich liebe
dich, Franz. Ich liebe dich. Wir werden diesem Wahnsinn entfliehen.
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