13a OPEN YOUR MOUTH
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Alma und Lili Leiser im Anschluss an Almas Trennung von Oskar
Kokoschka.
ALMA Oh
mein Gott! Frei! Endlich frei!! Endlich...!
LILI LEISER Bravo!
Gut gemacht! Wie eine Königin! Wie eine Göttin!
ALMA Lili,
mein Schatz, hast du wieder gelauscht?! Ich hätte nicht
geglaubt, dass ich es schaffen würde. Ich werde ihn nie
mehr wieder sehen. Ich muss Ballast abwerfen. Das Kind muss
weg. Nichts darf mich an ihn erinnern. Nichts. Nichts. - Und
jetzt nach Berlin. Um Gropius zu erlegen. Das edle Wild.
LILI LEISER Aber
du liebst ihn doch gar nicht mehr!
ALMA Ich
weiss nicht... Ich vermisse ihn plötzlich. Gott weiss,
warum.
LILI LEISER Das
weiss auch nur Gott. - Ich baue ein Haus für Dich, ja?!
Wir werden unsere Liebe feiern...
Kuss. Alma wird es zuviel. Sie wehrt ab.
LILI LEISER Und
Oskar?
ALMA Oskar
ist mir abhanden gekommen. Ich finde ihn nicht mehr in mir.
Er ist mir ein unersehnt Fremder geworden. Es ist still um
mich - Er hat mich von der Welt abgeschnitten, er hat mich
so vollkommen isoliert, dass ich das böse, wahre Gefühl
habe, wie wenig man in der Welt wirklich notwendig ist. Ich
weiss, er geht weiter und wahrscheinlich besser als mit mir.
Wir haben uns aneinander gerieben und jetzt kann er ruhig
und ungestört sein. Ich will ihn vergessen. Du musst
mir helfen dabei.
LILI LEISER Du
hast ihn geliebt?
ALMA Ja.
Ich habe ihn wahnsinnig geliebt. Unvorstellbar geliebt. Er
hat mir alle Vernunft genommen. Dieses grosse Kind. Er ist
der einzige, dem ich das je erlaubt habe. Ich wünschte,
ich wäre ihm nie begegnet. -
LILI LEISER Du
hast einen Künstler zerstört. Das wirst du dir nie
verzeihen.
(Alma geht, Lili folgt ihr)
ALMA Wenn
seine innere Stimme ihn dazu berufen hätte, bei mir zu
bleiben, dann wäre er nicht an die Front gegangen.
LILI LEISER Nichts
ist so zart und zerbrechlich wie eine Seele eines Künstlers,
in dem Augenblick, in dem er eine neue Eingebung empfängt.
Sie ist so schwach, so verletzlich In diesem alles entscheidenden
Moment. Es ist ein sehr flüchtiger Moment! Wenn er nicht
behütet wird und beschützt - dann ist alles verloren!
Und deshalb braucht ein Künstler in solchen Augenblicken
Vertrauen, grösstes Vertrauen - grösstmögliche
Liebe - Schutz - göttliche Gnade. Ohne Vorbehalt - ohne
Zweifel - ohne die geringste, noch so kleine Gefährdung.
Weisst du, wie leicht es ist, den eben erst geschlüpften
Vogel zu ersticken, bevor ihm überhaupt noch Federn gewachsen
sind und er versuchen kann, allein die Flügel auszubreiten,
und die Erde zu verlassen...? - Warum hast du deine eigene
Stimme damals ohne Zögern unterdrückt, (mit Mahlers
Totenmaske) damals, als Gustav dich dazu gezwungen hat!
ALMA Es
beweist nur, dass ich zu einer wirklichen Künstlerin
gar nicht geboren war.
LILI LEISER Das
glaubst du doch selbst nicht! Alma! Du hast dich belogen.
All die Jahre über hast du dich nur belogen! Nicht ein
Wort von dem, was du dir jahrelang vorgegaukelt hast, ist
wahr!
ALMA (im
Gehen:) Was weisst denn du davon? - Hoffentlich ist Walter
bereit, mich wieder zu sehen... Wer hätte gedacht, dass
dieser farblose Mensch so schnell einen so grossen Namen bekommen
würde! Er wird mich heiraten. Er muss mich heiraten.
Da gibt es kein Zurück.
LILI LEISER Aber
du musst komponieren! Du bist Künstlerin! Erinnere Dich
an Gustav! Wie bedingungslos er gearbeitet hat! Du darfst
dich nicht wegwerfen, hörst Du?! Hör auf, von einem
Mann zum anderen zu laufen!
ALMA Aber
Walter ist nicht irgendein Mann - Walter ist ein Genie!
LILI LEISER Ein
Genie! Ein Genie!! Ich kann dieses Wort schon nicht mehr hören!
ALMA Er
muss sich auf meinem Altar opfern, damit sich sein herrliches
arisches Blut mit dem meinen verbindet. Sein Geist und meinen
Körper - unser beider Vollendetes muss einen Halbgott
entstehen lassen.
LILI LEISER Hör
doch auf mit Deiner Geniehatz! Dich treibt doch nur die Sammlerleidenschaft!
ALMA Es
ist meine Bestimmung! Es ist mein Leben! Es führt kein
Weg zurück. Ich werde nie mehr wieder Komponistin sein.
Nie mehr! Es ist aus, es ist vorbei! Die Musen haben mich
von sich gestossen. Sie wollen nicht, dass ich an ihrer Tafel
sitze. Aber die Männer mögen mich. Und zwar genau
die, die mit ihnen an der grossen Tafel sitzen dürfen.
Sie beten mich an. Sie vergöttern mich. Und deswegen
sind die Musen eifersüchtig auf mich! Nur deswegen! Sollen
sie doch vor Neid zerplatzen! Sollen sie doch ersticken dran,
dass ihre Schützlinge vor Sehnsucht nach mir vergehen!
Sie ziehen mich ihnen vor! Das ist die Wahrheit! Ich weiss
nicht, warum, aber es ist so. Gustav ist in seiner Arbeit
niemals so aufgegangen wie in seiner Liebe zu mir, das kannst
du mir glauben! Was immer er getan hat, hat er meinetwegen
getan, nur um mich zu erreichen, zu berühren, zu vergöttern...!
In der letzten Symphonie hat er es sogar aufgeschrieben (holt
ein Partiturblatt hervor:) Hier, hier: »Almschi! Almschi!
Für Dich leben, für Dich sterben!» Da steht
es, schwarz auf weiss! Und daran ist er auch gestorben!
MUSIK: Adagio aus der 10. Symphonie
ALMA Oskar
ist mir abhanden gekommen. Ich finde ihn nicht mehr in mir
- er ist mir ein unersehnt Fremder geworden. Ich WILL ihn
vergessen! Wir haben uns nicht gefördert, sondern uns
gegenseitig gemein gemacht. - Was soll ich mit all dem 'Werden',
mit all diesen 'Vielleichts' von diesem Menschen anfangen?
- Liebe ich diesen Menschen noch? Oder hasse ich ihn bereits?!
- Mit Oskar möchte ich abrechnen. Er taugt nicht mehr
in mein Leben. Er reißt mich zurück ins Triebhafte.
Ich kann damit nichts mehr anfangen. Und so lieb und hilflos
dieses große Kind ist, so unverlässlich ja verräterisch
ist er als Mann. Ich muss ihn aus meinem Herzen reißen!
Der Pfahl steckt tief im Fleisch. Ich weiß, dass ich
durch ihn krank bin - seit Jahren krank - und konnte mich
nicht losreißen. Jetzt ist der Moment da. Weg mit ihm!
- Oskar Kokoschka ist der böse Geist meines Lebens. Er
allein will meine Vernichtung. Rein kann man nicht machen,
was schmutzig ist - und als er mich das erste mal umarmte,
warnte mich alles in mir vor seinem bösen Blick, aber
ich wollte ihn gut machen - und wäre über ihn fast
selber böse geworden. Oh - über diese böse
Faszination! Meine Nerven sind ruiniert - meine Phantasie
verdorben. Welcher Unhold hat mir den gesandt?
Kokoschka wird auf einer Bahre vorbeigetragen. Er ist verwundet.
LILI LEISER Du
bist grauenvoll!
ALMA Es
ist nicht meine Schuld, wenn ich das Feuer der Leidenschaft
entzünde, es ist nicht meine Schuld! Männer umschwirren
mich wie Motten um das Licht, wie Fliegen um den Honig...!
Ich bin so geschaffen! Ich bin dafür auf die Welt gekommen!
Es ist meine Bestimmung!!!
LILI LEISER Fliegen
umschwirren auch die Scheisse, die auf der Strasse liegt...
ALMA Du
bist doch nur eifersüchtig.
LILI LEISER Red
Dir das nur ein. Aber du hast nur eine Wahl: Die Männer
- oder die Musik. Für eines musst Du Dich entscheiden.
Wenn Du Deinen Sammeltrieb nicht aufgibst, wirst Du der Musik
auf ewig verloren gehen.
ALMA Ach
was! Wenn eine neue Liebe in mir keimt, spüre ich mehr
Leben in mir als in irgend einem Werk der Kunst, das jemals
geschaffen wurde! Mehr Hoffnung, mehr Kraft, mehr Glauben
LILI LEISER Und
was bleibt übrig davon?
ALMA Eine
neue Liebe! Was glaubst denn Du? Die Kraft für eine neue
Liebe! Gibt es etwas Aufregenderes als eine neu erwachte Liebe,
eine neugeborene Leidenschaft, eine jungfräuliche Sehnsucht?
LILI LEISER Und
du glaubst, Walter ist eine solche Liebe? Eine Sehnsucht?
Eine Leidenschaft? Was ist denn daran neu? Das glaubst Du
doch selbst nicht!
ALMA Er
wird der Prophet der neuen Architektur werden. Ich weiss es.
Ich spüre es!
LILI LEISER Mich
kannst Du belügen, Alma, auch die Welt kannst Du belügen
- aber doch nicht Dich selbst.
ALMA Ich
hole mir diesen Gropius, da kannst Du Gift drauf nehmen!
LILI LEISER Das
werd ich wahrscheinlich auch - eines Tages.
ALMA Muss
es denn ausgerechnet Gift sein? Es gibt Alternativen.
LILI LEISER Zum
Beispiel?
ALMA Das
Sperma eines Genies!
LILI LEISER Was?
ALMA Nichts
schmeckt besser als das Sperma eines Genies, wusstest Du das
nicht?
LILI LEISER Du
musst es ja wissen.
ALMA Glaubst
Du?
LILI LEISER Der
Preis wäre mir zu hoch. - An dem Tag, als Du das Komponieren
aufgegeben hast, hast Du Deine Stimme verloren. Du hast Dich
selbst verloren. Du bist eine so bemitleidenswerte Erscheinung,
eine so hoffnungslose Existenz. Und nichts ist schlimmer als
ohne Hoffnung zu leben.
ALMA Na
schön. Dann halt jetzt den Mund.
LILI LEISER Das
werde ich. Du hast recht, ich muss schweigen. Immer beginne
ich zu sprechen, bevor ich weiss, was ich sagen will. Ich
bin ein Sack voll Löcher. Ich spiele den Clown, nur weil
ich mich meiner Gefühle schäme.
ALMA Du
versuchst doch nur, die Wahrheit vor dir selbst zu verstecken.
LILI LEISER Dass
ich Dich liebe? Vielleicht. Aber sei unbesorgt, ich bin nicht
wirklich in Dich verliebt. Es ist nur ein Spiel. Ich war überhaupt
noch nie verliebt. Noch nie. Das kannst Du mir glauben. Und
dabei ist es so einfach, Liebe vorzuspielen, vorzugaukeln!
Liebe zu Menschen, zu einem Mann, einer Frau. Aber in meinem
Inneren ist so eine Leere!
ALMA Aber
Du hast doch mich. Ich bin Deine Freundin!
LILI LEISER Was
bringt uns eigentlich dazu, unser Leben immer mit den falschen
Menschen zu verbringen? Die falschen Sachen auszusprechen,
die falschen Dinge zu tun?
ALMA Was
redest Du denn?!
LILI LEISER Du
weisst nicht, wovon ich spreche? Nein? Ach, wenn du's nicht
weisst... In dem Punkt sind wir doch Verwandte. Das brauchst
Du gar nicht zu leugnen. Verkauf mich doch nicht für
dumm. Das ist so langweilig. So langweilig. Du schuldest mir
doch nichts, oder? Und ich Dir auch nicht.
ALMA Du
bist immer sehr grosszügig. Und ich weiss auch, warum.
LILI LEISER Ach,
das bisschen Geld. Das spielt doch keine Rolle. Das tu ich
doch gern. Ich hab doch auch den Druck von Alban Bergs «Wozzeck»
finanziert-
ALMA Ich
wusste doch, dass Du dahinter steckst.
LILI LEISER Ja!
Das war ich! Und wenn ich das Geld nicht aufgetrieben hätte,
dann hätte er dir seine Oper gar nicht widmen können!
ALMA Wirklich?
Was Du nicht sagst. Aber mach Dir keine falschen Hoffnungen.
Ich werde mich nicht erkenntlich zeigen.
LILI LEISER Ich
weiss, es gibt nicht die Spur einer Chance für uns zwei.
Aber dann kann ich Dir doch die Wahrheit sagen, oder? Das
ist doch ein grosser Luxus, findest Du nicht? Das traut sich
doch sonst keiner.
ALMA Ich
kann verzichten.
LILI LEISER Du
glaubst doch immer noch an die Liebe, oder nicht? Du glaubst,
dass die Liebe der anderen Dich retten wird, stimmt's? Aber
da irrst Du dich. Sie hilft Dir höchstens, leichter einzuschlafen.
Aber von Rettung keine Spur. Denn es gibt immer einen Morgen
danach. Und der Morgen ist nicht die Zeit der Liebe. Der Morgen
ist die Zeit des Erwachens. Und wenn der Morgen ohne Liebe
ist, dann ist der Abend ohne Hoffnung! Wusstest Du das nicht?
ALMA Du
machst mich krank. (schaut sich in den Spiegel) Ich hatte
eine Stimme, eine zarte, sanfte, zärtliche Stimme...
Eine Stimme, die lange schon in mir war... Sie sang über
Menschen, die ich liebte... neu erwachende Gefühle...
den Schmerz der Trennung... Ich höre diese Stimme, wenn
ich voll Trauer war über den Tod. Meines Vaters... Weisst
du, es gibt nicht viel anderes, für das es sich lohnt,
seine Stimme überhaupt zu erheben. Ich hatte eine Stimme
und ich wusste auch, wie man diese Dinge ausdrückt, wie
man sie erfühlt, erlebt, erleidet, besingt... - Es wäre
meine Pflicht gewesen, diese Stimme zu bewachen, zu beschützen,
zu behüten... Und nicht zuzulassen, dass fremde Hände
unzärtlich und gemein sie berühren. - Aber ich habe
es nicht getan, ich habe es nicht geschafft, ich habe es verabsäumt.
Und dann kam ein Mann und sagte, dass er mich liebt. Und ich
liebte ihn auch. Aber der Preis war hoch. Ich musste meine
Stimme zum Schweigen bringen... - als »Liebesbeweis«
- und nur seiner zuzuhören... weil sie angeblich stärker
war. Und er bot mir an, für mich zu sprechen... Und ich...
statt ihm zu sagen: »Geh' mir aus dem Weg! Ich will
deine Stimme nicht hören, ich habe nichts mit dir gemein!«...
habe ich akzeptiert. Ich war einverstanden. Und bis heute
ist diese Stimme nicht mehr... ertönt... Sie lebt, aber
sie ist lebendig begraben... erstickt... zerbrochen... wahrscheinlich
zerstört. In tausend kleine Stücke zersplittert.
Es ist wie ein Spiegel, in dem du dich nicht mehr sehen kannst!
Vielleicht nie mehr...
LILI LEISER Ausser
du öffnest deinen Mund - und versuchst es. Versuch es...!
Aber du darfst dann nicht erschrecken, hörst du? Du darfst
nicht erschrecken! Denn ein Schrei der Verweiflung wird sich
deiner Kehle entringen, ein Schrei, den man bisher noch nicht
gehört hat. Der Schrei einer Frau. Der Schrei von Millionen
von Frauen...! Deren Stimmen erstickt und erwürgt wurden
von Männern, die zu schwach waren und auch zu ängstlich,
sie zu ertragen!
ALMA Du
machst mich krank.
LILI LEISER Du
bist krank. Wie kann ein Mensch so blind sein, so taub, so
eitel? Geh, geh nach Berlin. Erleg Dein edles Wild, deinen
Lebensarchitekten. Aber lass mich wenigstens zuschauen. Darf
ich?
ALMA Was
meinst Du damit?
LILI LEISER Kann
ich mitkommen nach Berlin? Ich übernehme die Kosten.
Ich bezahle dafür, dich leiden zu sehen. Das ist es mir
wert.
(Alma zieht Lili das Kurtisanenkostüm an)
ALMA Na
schön. Wenn du unbedingt wissen willst, wie's an der
Front zugeht, dann komm mit.
LILI LEISER Oh,
Darling!! (umarmt und küsst sie) Danke! Danke! Danke!
ALMA Du
wirst dich wundern.
Alma und Lili gehen als Kurtisananen zu Oskars Maskenball.
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