4e SOMETIMES I FEEL LIKE A MOTHERLESS
CHILD
>
download Word-Doc
St. Germain, 1. Juli 1938. FRANZ WERFEL hat einen leichten
Herzanfall.
FRANZ Ich
bin krank. Ich bin krank. Ich fühle mich so krank wie
noch nie. Uooahhhhh... Es ist mir so, als ob mein Kopf voll
Wasser wäre. Er droht mir zu zerspringen... von einem
inneren Druck! Vielleicht ist es nur eine Nikotinvergiftung.
Gestern noch inhalierte ich, inhalierte ich... und sagte zu
Alma... es ist nur eine Nikotinvergiftung. Aber ich glaube,
es ist keine... Meine nikotingelben Finger... sind... Ich
bin so... ich kann nichts mehr sehen... Schwimmende Augen,
ein o-beiniger, fetter Jude mit Nikotinfingern und schwimmenden
Schlitzaugen! - Ich habe es in ihrem Tagebuch gelesen! - Sie
hat recht. Vielleicht brauchen wir Martin gar nicht mehr zu
exhumieren. Er sah mir wirklich ähnlich... Das schöne
Kind. Mein Sohn! Mein schöner Sohn! Martin!! Martin!!!
Du bist mein. Wenigstens dich hat sie nicht abgetrieben...!
Ach Oskar!
Ich bin unendlich deprimiert. Ja. Denkimpotenz. Angst. Schwächegefühl.
Ohnmächtiges Gefühl der Schwäche... allen Assoziationen
gegenüber - und der Beherrschung ihres Ablaufs. Mein
Gott, was soll werden!! Ich verliere meine Kraft, zu denken.
Ich werde... ich bin... Das Meer der Unordnung überspült
mich. Un-ord-nung. Unordnungskomplex.
Dem Blinden ist die Welt erblindet
Dem Tauben ist die Welt ertaubt.
So auch an keinen Glauben glaubt,
Wer in sich selbst nicht Glauben findet...
Das ist schlecht. Schlechte Poesie. Nikotindichtung. Wasseraugen.
Große Worte, aphoristischer Überfluß. Unpräzise.
Ungenau. Verwaschen. Versunken. Anna, du hast recht. Untergegangen!
Gucki! «Die Welt von Gestern» Die versunkene Welt.
- Jaaaazzz!! (Er versucht sich im Jazztanz. Singt:) «Sometimes
I feel like a motherless child...!» Blutdruck beinahe
25,50. Tension much but much to high. Rauchen ganz abgewöhnen.
No precision in describing minute feelings... Ugh!... Ostasiatisches
Kloster. Mönche heißen uns am Eingang die Stiefel
ausziehen. Wir empfangen von ihnen dafür höchst
bequeme und den Füßen wohltätige Bastschuhe.
Wir treten in den Klostergarten. Große Wildnis. Ein
kleiner Pfad durch hohes Gras, Schlinggewächs und dichter
Wuchs. Über den Weg kriechen, schießen oder liegen
viele große Schlangen. - Die Mönche lassen sich
ruhig und gleichmütig von ihnen beißen. Ich auch,
jedoch voll Furcht und nur aus Höflichkeit, um dem Beispiel
der Mönche zu folgen. Ich trete keiner Schlange auf den
Kopf, obzwar es mich gelüstet. (Er zerknüllt Papier
und wirft es fort.)
Und jetzt? Wieder eine neue Teufelei! Prag von den Boches
besetzt! Meine Schwester Hanna in der Falle. Zu spät
abgereist. Österreich ist meine Heimat nicht. Ich bin
ein Fremder hier. Wo kann ich hin? Ich bin ein Fremder. Wo
mag mein Zuhause sein? Nach Prag kann ich nicht zurück.
Mein Platz ist nicht von dieser Welt. Ha! Auch schon gesagt.
Gut gesagt! London... Anna? Gucki?! Das ist das Exil, meine
Liebe, meine Retterin, der ich die Freiheit schenkte - «the
bitter taste of exile». Warten wir ab, bis die Realität
uns einholt. Und wir ihr gegenübertreten müssen.
Dann wird Zeit genug sein. Dann muß Zeit sein. Dann
wird Zeit sein. Viel Zeit. -
Was tun? - Selbstmord. Selbstmord? Ich durfte nichtmal auf
Horvaths Begräbnis. Sie hat es verboten. Dabei sah Ödön
so gesund aus unter all den gelben und graugrünen Gesichtern
der Emigranten, die sich in seiner Totenhalle versammelt hatten.
Eigentlich sah er am gesündesten aus von uns allen. Außerdem
habe ich Angt, es zu tun. Ach Gott, ich bin das nicht, der
aus dem Spiegel stiert, der Mensch mit wildbewachsner Brust
und unrasiert. Tag war heut so blau, mit der Kinderfrau wurde
ja im Stadtpark promeniert. Die Vorstellung, den Revolver
gegen mich abzudrücken - gegen mich! - ist unerträglich.
Unerträglich! Viel eher... würde ich mich bereitfinden...
Gift zu nehmen.. Ja, Gift. Dieses ist aber nicht vorhanden.
Stattdessen... bin ich verhaftet. Der Kommissär blättert
minutenlanmg in einer schwarzen Liste. Ich war doch am Titelblatt
von «Paris Match»! Ich glaube, daß ich diese
Minuten nicht überleben werde, auch wenn sie schon gewesen
sind... Es ist zu schrecklich. «Un de plus grands écrivains
contemporains»! Ich könnte ohnmächtig werden.
Aber ohne daß ich etwas verbrochen habe? Die Sanktionen
des Fremdengesetzes sind gar nicht anwendbar auf mich! Es
ist eine irrtümliche Vorladung! Franz! Franz!! Mein Freund.
Warum hast du mich vorladen lassen in einen deiner Romane?
Als Käfer «K». Für mich bist du Nobelpreisträger,
und nicht Thomas. Ein großer Strauß roter Rosen
und den «Verdi». Den hast du noch gelesen. Es
war das letzte, was du noch gelesen hat. Der Traum allein
kann einen Menschen nicht ernähren, wenn er vierzig Jahre
alt ist. Solange kann kein Hungerkünstler hungern. Wo
werde ich heute schlafen und zu Hause sein?
Ich sehe meiner Hinrichtung entgegen. Ich ziehe zu diesem
Zweck ein höchst merkwürdiges, schwarzseidenes Bajazzo-Kostüm
an. Es ist selbstverständlich, daß der Raum nicht
leer ist, daß ich nicht allein bin, daß ein Kollege
ihn mit mir teilt, am besten Egon Erwin Kisch, der ebenfalls
zum Schafott muß - Karl Kraus wird ja erschossen - und
in meinem Gefühl muß er das vielmehr noch als ich
selbst! (Führt die Hände zum Kopf.) Es gibt also
doch eine Geisterwelt! «Manchmal, Herr, manchmal.»
gibt das Gespenst zur Antwort und rasiert mich, ein ehemaliger
Arbeiter, von dem ich weiß, daß er vom Dach gestürzt
ist. Schlimmes Gefühl der Schädigung durch die Toten.
Nähe, selbst durch die Nähe. Dann Licht. Verwandlung.
Geruch. Vorüberzüge. Ernst Deutsch! Warum?! Schlaf.
Ekstase. Vergebliche Levitation. Rauchsucht?
Wo bleibt die Antwort aus Berlin? Keine Antwort ist auch
eine Antwort. Zumindest keine Absage. Wenn sie mich aufnehmen...
Hitler tritt ein, so hinfällig und alt, wie er ist. Seine
Hose ist offen, das Glied zu sehen. Es ist erschreckend, es
zu sehen. Er fragt mich: «Hast du gesehen?» Ehe
ich noch antworten kann, wächst er, wird jung und stark,
stürzt sich auf mich und schlägt mich zur Strafe.
- Ich bin ein erwachsener Mensch! Ich wäre nicht zurückgekehrt,
wenn das Volk draußen mich nicht an meinem Gesicht erkannt
hätte!!! - Ich bin ein erwachsener Mensch!
Ich hab' so ein Verlangen
nach Mitleid und nach Zärtlichtun.
Ich möchte nur im Bette liegen stundenlang,
so kindergut, so fieberkrank
und liebe Hände langen.
Ich hab' so ein Verlangen.
Kein Mensch will mich bewachen,
und niemand hätschelt mich und summt.
Ach, alle Freundlichkeit verstummt,
und keine kleine Lampe brennt,
und niemand, der mich Bubi nennt,
kein Spielzeug und kein Lachen.
Wer streichelt meine Wangen?
Ich hab' so ein Verlangen.
Kunstgenuß ist nicht Zeitvertreib, sondern das Gegenteil...
Sie ist Tod-Vertreib.
Während all dessen hört man die Zeugnisse der NS-Bücherverbrennung
vom Februar und März 1933. Unter den Namen befindet sich
auch der von FRANZ WERFEL.
|