6b ADIEU DR. FRAENKEL!
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Kurort Tobelbad. ALMA MAHLER und DR. FRAENKEL im Streit.
DR. FRAENKEL Herr
Gropius, Sie müssen doch schon längst zur Unterwassertherapie!
- Alma! Was ist denn auf einmal los mit Ihnen? Haben wir etwas
falsch gemacht? Alma, bleiben Sie da! Hab ich Sie verletzt?
Alma!! Wieso sind Sie denn böse auf mich? Erinnern Sie
sich doch an gestern! Haben Sie alles vergessen? Und die Operation
gestern! die war doch zu Ihrer vollste Zufriedenheit! Das
war doch wunderbar, oder? Und jetzt auf einmal Was soll denn
das?! Antworten Sie mir, Alma! Sagen Sie wenigstens, was los
ist! Ich kann es ja nicht ahnen! Haben Sie Schmezen? Welche
Todsünde hab ich denn begangen, daß Sie mich so...
ALMA Mein
armer, süsser Doktor Fraenkel...
DR. FRAENKEL «Mein
armer süsser Doktor Fraenkel!»... Ist das eine
Antwort? Soll das ein Trost sein? Wofür? Ich weiß,
daß ich sü? bin. Sie haben ja ausreichend dafür
gesorgt, daß ich es nicht vergesse. Ich bin Chirurg
und unansehnlich...
ALMA Machen
Sie sich nicht lächerlich!
DR. FRAENKEL Jetzt
bin ich auch noch lächerlich? - Sie haben es gerade gesagt.
Sie brauchen sich nicht dafür zu entschuldigen. Das macht's
auch nicht besser.
ALMA Waren
wir nicht immer gute Freunde, Herr Doktor... Lassen wir's
dabei.
DR. FRAENKEL Gute
Freunde?... Machen Sie Witze? Ich habe Sie operiert! Vergessen
Sie das nicht!Ich habe Sie berührt...
ALMA Medizinisch,
Herr Doktor, nur medizinisch!
DR. FRAENKEL «Nur»
medizinisch?... «Nur»?! Das ist das intimste,
was es gibt, Alma! Sie dürfen sich nicht besudeln lassen!
ALMA Bitte
werden Sie nicht gewöhnlich, ja!
DR. FRAENKEL Alma,
ich weiß ja, daß ich kein Hippokrates bin. Sie
haben es mir oft genug gesagt.
ALMA Das
war doch nur im Spaß.
DR. FRAENKEL Nein,
nein, das war gar nicht im Spaß, meine Liebe. Ich weiß
doch, wie meine Kollegen über mich reden, ich gebe mich
da keiner Illusion hin. Es ist alles wahr. Alles ist wahr.
Alles, was sie sagen, stimmt.
ALMA Äußerlichkeiten
haben mich noch nie interessiert.
DR. FRAENKEL Oh
doch, meine Liebe, sie interessieren Sie sogar sehr! Dazu
kenn' ich Sie jetzt gut genug. Charme, Ruhm, Talent... Ich
besitze nichts davon.
ALMA Oh,
das stimmt nicht. Sie sind ein Kapazität. Das wissen
Sie ganz genau.
DR. FRAENKEL Ich
bin mir da nicht mehr so sicher, wissen Sie.
ALMA Wollen
Sie Komplimente hören? Ja? Sie sind ein Kapazunder, Sie
sind der erste in Ihrem Fach! Vielleicht sind Sie sogar ein
Genie.
DR. FRAENKEL Alma!
Geh'n Sie nicht weg von mir! Ich brauche Sie! Ich will Sie
formen, verstehen Sie?! Ich will Sie bilden! Ihren Körper!
- Lassen Sie mich doch nicht so betteln wie ein kleines Kind.
Haben Sie denn soviel zu geben, daß die anderen immer
betteln müssen? -
ALMA Ja.
DR. FRAENKEL Na
schön. Ich habe nichts. Ich muß betteln.
ALMA Hören
Sie sofort auf!! Hören Sie sofort auf!!! Verstehen Sie
mich?! Hören Sie sofort auf, sich zu erniedrigen. Ich
ertrage es nicht. Sie dürfen sich nie, nie, hören
Sie, niemals vor mir erniedrigen. Sie dürfen nicht um
mich betteln!
DR. FRAENKEL Wenn
Sie sich mir verweigern...
ALMA Damit
versetzen Sie sich den Todesstoß, verstehen Sie das
nicht? «Wenn jemand um Hilfe bittet, darf man sie ihm
nicht geben. Denn dann ist er ihrer nicht würdig!»
Wenn mich ein Mann um etwas bittet, wenn er bettelt darum
- dann ist er für mich gestorben.
DR. FRAENKEL Und?
Bin ich jetzt tot? (horcht mit Stetoskop)
ALMA Sie
tun wirklich alles, um mir die Abreise zu erleichtern.
DR. FRAENKEL Die
«Abreise»?!... Welche «Abreise» denn??
Was müssen Sie sich denn erleichtern??!!
ALMA Herr
Doktor Fraenkel, ich bin in einer verzweifelten Lage.
DR. FRAENKEL Wer
ist es denn?
ALMA Herr
Doktor, ich bitte Sie....
DR. FRAENKEL Nennen
Sie mich nicht «Herr Doktor»! Sagen Sie mir seinen
Namen. Ich möchte wenigstens den Namen wissen.
ALMA Es ist
Mahler.
DR. FRAENKEL Mahler?
Wieso Mahler? Aber das ist doch Ihr Mann?!
ALMA Nein,
Sie Dummerchen! Ich mache doch nur Experimente.
DR. FRAENKEL Das
weiß ich.
ALMA Aber
nein, nicht mit Ihnen, ich experimentiere mit mir selbst:
Ich sage «Geliebter!» und immer kommt mir dann
Gustav zuerst in den Sinn.
DR. FRAENKEL Und
danach? Wer kommt danach? Hmm?! (Alma schweigt.) Ich kann
ihn ja förmlich riechen an Ihnen! Was hat er denn, das
ich nicht habe? Ist er jünger? Schöner? Reicher?
Ich kenn Sie doch, Frau Mahler. Sie wollen glänzen wie
ein Stern! In der allerersten Reihe. Der schönste, hellste
Stern am Firmament. Der Abendstern. Deswegen sind Die ja auch
hier. Und dafür brauchen Sie Geld und Ruhm und Ansehen.
Und einen Mann zum Vorzeigen, sonst hätten Sie Ihren
Mann ja gar nicht geheiratet. Aber Liebe, Liebe brauchen Sie
ja nicht. Das alles kann ich Ihnen nicht bieten. Stimmt. Wozu
auch? Und das wäre doch das einzige, wo ich mithalten
könnte. Warum lächeln Sie? Was ist daran so komisch?
ALMA «Einen
Mann zum Vorzeigen»! Haben Sie eine Ahnung!
DR. FRAENKEL Ist
der Neue nicht zum Vorzeigen? Dann muß er aber sehr
reich sein.
ALMA Er ist
auch nicht reich.
DR. FRAENKEL Berühmt?
ALMA Doktor,
hören Sie auf. Sie machen alles nur noch schlimmer.
DR. FRAENKEL Hören
Sie auf zu lügen. Ist er sehr berühmt? Weltberühmt?
ALMA Noch
nicht.
DR. FRAENKEL Oh.
- Wer ist es?!!!
ALMA Es ist
Sauerbruch.
DR. FRAENKEL Wie
bitte?!...
ALMA Sauerbruch,
Ihr Kollege.
DR. FRAENKEL Hören
Sie auf mit dem Unsinn. Sagen Sie mir den Namen! Ich werde
einen solchen Mann in meinem Haus nicht dulden.
ALMA Ich
werde Ihnen nicht sagen. Jetzt lassen Sie mich zufrieden!
DR. FRAENKEL Sie
machen mich wahnsinnig! Wer soll denn das sein? Sagen Sie
mir wenigstens die Zimmernummer!
ALMA Herr
Doktor! Hören Sie auf. Sie gehen mir auf die Nerven.
Quälen Sie mich nicht.
DR. FRAENKEL Sie
quälen doch mich! Bis aufs Blut. Ich möchte seine
Zimmernummer wissen, verdammt nochmal!
ALMA Pssst!!
- Es ist 118!....
DR. FRAENKEL Nimmt
die Patientenliste heraus und sucht...Alma bitte, das kann
doch nicht Ihr Ernst sein! Dieses arische Vollblut? Dieser
Zuchthengst?
ALMA Er liebt
mich.
DR. FRAENKEL Er
liebt Sie?! Sie sind eine verheiratete Frau!
ALMA Es ist
nicht meine Schuld, wenn ich das Feuer der Leidenschaft entzünde,
es ist nicht meine Schuld! Männer umschwirren mich wie
Fliegen um den Honigtopf...! Ich bin dafür geschaffen!
Ich bin so auf die Welt gekommen! Es ist meine Bestimmung!!!
DR. FRAENKEL Fliegen
umschwirren auch die Scheiße, die auf der Straße
liegt...
ALMA Sie
sind doch nur eifersüchtig.
DR. FRAENKEL Und
was bleibt denn übrig sobald eine solche Liebe erloschen
ist?
ALMA Der
Keim für eine neue Liebe! Was glauben Sie denn?
DR. FRAENKEL Und
Sie glauben, dieser Gropius ist eine solche Liebe? Was ist
denn daran neu?
ALMA Es macht
mich ganz rasend, wenn ich sein Verlangen spüre. Es weckt
mich aus meinem Tiefschlaf. Es ist wie eine Droge!
DR. FRAENKEL Ach
was! Sie benehmen sich doch wie ein Schwein und stopfen sich
voll mit Fressen, Saufen und Ficken!
ALMA Ich
bin geschaffen worden, das Leben zu leben, nicht es zu beschreiben,
Doktor! Wenn sich ein Mann in mich verliebt, verliebe ich
mich sofort in mich selber. Und plötzlich bekommt mein
Leben wieder einen Sinn...
DR. FRAENKEL Bedeutet
Ihnen Treue denn gar nichts?
ALMA Treue!
Das ist doch lächerlich! Doktor, die Männer haben
doch alle ein Recht darauf, mich zu begeistern! Ich würde
ihnen Unrecht tun! Der rein äußerliche Vorteil
desjenigen, der mir zufällig einmal als erster über
den Weg gelaufen ist, darf doch die anderen nicht des gerechten
Anspruchs berauben, den sie allesamt auf mein Herz erheben
dürfen.
DR. FRAENKEL Wie
können Sie so sprechen, Alma? Das ist doch unnatürlich!
ALMA Frauen,
die stolz darauf sind, daß sie ein Leben lang nur immer
einem Mann angehört haben - selbst wenn es ein ganz besonderer
Mann ist -, sind doch im Grunde genommen gar nicht am wirklichen
Geist des Mannes interessiert. Sie zwingen sich durch einen
falschen Ehrbegriff zur einer Treue, und sind von Jugend an
verloren für alle anderen Objekte. Für deren Intelligenz,
ihre Größe, ihr Genie! Diese Frauen sind tot -
lange, bevor sie gestorben sind.
DR. FRAENKEL Alma,
was fällt Ihnen denn ein? Sie sind doch intelligent,
Sie haben einen so feinen Geschmack! Ihre Musik ist so viel
besser als alles was dieser Pseudo-Architekt in 200 Jahren
zusammenbasteln wird!
ALMA Woher
kennen Sie denn meine Musik?
DR. FRAENKEL Einer
unserer Gäste hat sie gestern gespielt.
ALMA Ach
was. Ich werde nie wieder eine Komponistin sein.
DR. FRAENKEL Warum?
ALMA Die
Musen haben mich von sich gestoßen..
DR. FRAENKEL Die
Musen?!
ALMA Ja.
Sie wollen nicht, daß ich mit ihnen an einer Tafel sitze.
Aber die Männer mögen mich. Sie beten mich an. Es
ist die Wahrheit! Tut mir leid. Mein Mann ist in seiner Arbeit
niemals so aufgegangen wie in seiner Liebe zu mir, das können
Sie mir glauben! Was immer er komponiert hat, er hat es für
mich getan, um mich zu zu besingen, zu verherrlichen, zu vergöttern...!
Hören Sie das nächste mal genau hin!
DR. FRAENKEL Gustav
Mahler?! Tatsächlich
?
ALMA Und
Walter wird der Prophet der neuen Architektur werden. Ich
weiß es. Ich spüre es!
DR. FRAENKEL Walter?!!
ALMA Walter
Gropius. 1-1-8. Er ist nicht irgend jemand.! Er ist ein Genie!
DR. FRAENKEL Als
Architekt ist er eine Katastrophe, eine Null, das wissen Sie
ganz genau. Alma! Nehmen Sie nur seine idiotische Idee von
einem Bauhaus!
ALMA Es sind
auch nicht seine Theorien! Seine Arbeit berührt mich
nicht im geringsten, verstehen Sie? Sie sagt mir nicht so
viel! (schnippt mit dem Finger) Aber er! Er! Er ist es, der
mich fasziniert. Nur er. Sonst gar nichts. Es ist... Ich weiß
nicht, wie ich sagen soll...
DR. FRAENKEL Ja,
ja, ja, verstehe! Das «gewisse Etwas»! Das Unaussprechliche
ALMA Ja.
Genau. Sehen Sie, wenn sich ein Mann in mich verliebt, verliebe
ich mich sofort in mich selber. Und dann bekommt mein Leben
wieder einen Sinn, eine Berechtigung.
DR. FRAENKEL Nur
weil ein Mann sich darin herum tummelt? Das ist doch lächerlich
ALMA Warum?
DR. FRAENKEL Sie
hinterlassen doch immer ihre dreckigen Fußspuren in
Ihrer Seele und ihre fettigen Fingerabdrücke auf Ihrem
Körper.
ALMA Oh nein!
Je mehr Männer mein Leben durchziehen, desto stärker
fühle ich, daß es mein Leben ist!
DR. FRAENKEL Aber
sie stopfen Sie doch voll mit ihrem verkommenen Samen!
ALMA Verkommen?
Nichts schmeckt besser als das Sperma eines Genies.
DR. FRAENKEL Sie
müssen's ja wissen.
ALMA Wenn
ich einen Mann liebe, dann will ich auch ein Kind von ihm.
Wenn nicht - nichts leichter, als es wieder loszuwerden.
DR. FRAENKEL Alma!
ALMA Was
soll denn daran falsch sein? Sie selbst haben mir gestern
dabei geholfen ...
DR. FRAENKEL Alma,
bitte! Das war gegen meinen Hippokratischen Eid.
ALMA Dann
haben Sie gesündigt Doktor. Danke. Wir sehen uns dann
in der Hölle !
DR. FRAENKEL Machen
Sie sich doch nichts vor, Alma. Sie Äffchen! Sie wollen
doch nur am Leierkasten sitzen, schön herausgeputzt,
mit einem roten Käppchen, eine Schale Geld in der Hand
und die dumme Männerwelt dreht die Kurbel! Und ganz Wien
tanzt dazu! Aber nicht mit mir! (Er will Alma umarmen, um
sie zu küssen.) Alma.... Alma!.... Kommen Sie her, kommen
Sie her zu mir!
ALMA Hören
Sie auf! Hören Sie auf, Herr Doktor! Sind Sie verrückt?!
Rühren Sie mich nicht an...! Sie sollen mich... Gehen
Sie weg!! Gehen Sie ... weg!!! (Spuckt aus) Wäähhh!
Wäre ich ihm doch nur 8 Jahre früher begegnet, dann
hätte ich mir diesen Aufenthalt hier erspart!
DR. FRAENKEL Ahhhh...
Jetzt erkenne ich Sie, Alma. Jetzt erkenne ich Sie!! Endlich.
Habe lange warten müssen. Ihre grenzenlose Eitelkeit,
Ihre Vergnügungssucht, Ihre lächerlichen Hirngespinste!
Sie sind tot, Alma! Sie sind verloren...!
ALMA Ganz
im Gegenteil, mein Lieber. Sie können Ihre Ratschläge
in Zukunft für dich behalten, Herr Doktor. Ich werde
sie nicht brauchen. Ich werde 118 lieben, ich werde leben
für ihn, ich werde für ihn sorgen. Dieser Mann ist
reiner Sauerstoff für mich! Man verbrennt, wenn man ihm
zu nahe kommt!!
DR. FRAENKEL Und
ich? Was war dann ich?
ALMA Schwefel.
Brennt auch, stinkt aber mehr.
DR. FRAENKEL Na
gut!Dann verlange ich, dass Sie noch heute abreisen, noch
heut abend. Ficken Sie sich hoch zu Macht und Glorie!! Dazu
sind Sie geboren!
ALMA Das
können Sie gottseidank nicht beurteilen.
DR. FRAENKEL Adieu
ma vie, adieu mon coeur, adieu mon esperance! - Ich brauche
jetzt Betäubung. Ich brauche Alkohol. Alkohol! Und Gesellschaft.
Damit ich diese Trüffel mit den Schweinen teilen kann.
Wenn Sie Ihres arischen Zuchthengstes überdrüssig
sind, können Sie mich ja besuchen. Sie werden mir immer
willkommen sein!
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