6c THERE'S A GLOWING KNIFE IN MY
BREAST
>
download Word-Doc
Palästina, 1925. Chauffeur PAUL versucht den kaputten
Wagen zu reparieren. Er summt dabei «Ich hab ein glühend
Messer» aus Mahlers «Lieder eines fahrenden Gesellen».
ALMA schaut
ungeduldig zu.
PAUL «Ich
hab ein glühend Messer in meiner Brust
O weh! O weh! Das schneid't so tief
In jede Freud' und jede Lust,
So tief, so tief!»
ALMA Haben
wir denn überhaupt eine Chance, hier wieder wegzukommen?
PAUL Ich
tue was ich kann, Madame. (Fährt fort zu singen:)
«Ach, was ist das für ein böser Gast!
Nimmer hält er Ruh',
Nimmer hält er Rast,
Nicht bei Tag, noch bei Nacht, wenn ich schlief!
O weh! O weh!»
ALMA Bitte,
bitte, nicht so laut! - Ich brauche Ruhe.
PAUL Selbstverständlich,
Madame. (Er singt leiser:)
«Wenn ich den Himmel seh',
Seh' ich zwei blaue Augen steh'n!
O weh! O weh!»
ALMA Wissen
Sie denn überhaupt, wer das Lied komponiert hat, das
Sie da singen?
PAUL Aber
Madame! Es ist von Gustav Mahler!
ALMA Kennt
man den hier in dieser... Einöde?
PAUL Ich
weiß nicht, ich kenne ihn aus Kassel. Ich war dort Student.
ALMA Ach,
sieh mal einer an! Und was machen Sie dann hier im Urwald?
PAUL Ich...
- Ach was! Besser, ich sage nichts.
ALMA Nein,
nein! Sagen Sie, was Sie auf dem Herzen haben.
PAUL Ich
schäme mich meiner Gedanken.
ALMA Nur
Mut!
PAUL Kommen
Sie mit mir!
ALMA Wie
bitte?!
PAUL Lassen
Sie uns verschwinden!!
ALMA Was?
PAUL Wir
schnappen uns den Wagen und sind auf und davon!
ALMA Sind
Sie nicht ganz bei Trost?!
PAUL Alma,
im Augenblick, als ich Sie das erste Mal sah...
ALMA (lacht)
Oh, mein Gott! Bitte nicht! Bitte nicht!!!
PAUL Oh,
doch! Oh, doch!
ALMA Wie
alt sind Sie?
PAUL Zwanzig.
Aber Ihnen gegenüber fühle ich mich wie sechzehn.
ALMA Bitte!!!
Machen Sie sich nicht über mich lustig, ja! Ich bin siebenundvierzig,
ich könnte Ihre Mutter sein. Außerdem fehlt mir
die Kraft, mich noch auf solch einen Unsinn einzulassen. Ich
stehe am Rande eines Vulkans.
PAUL Das
trifft sich gut. Explodieren Sie! Explodieren Sie!! Mir geht
es genauso, ich stehe am Rande der Verzweiflung. Lassen Sie
uns bei Null anfangen!
ALMA Ach
was! Wo sind wir denn überhaupt? Können Sie mir
das sagen?!
PAUL Unterwegs.
Wir sind unterwegs. Immer unterwegs!
(Beginnt wieder zu singen und nimmt die Arbeit am Motor wieder
auf:)
«Wenn ich im gelben Felde geh',
Seh' ich von fern das blonde Haar im Winde weh'n!
O weh! O weh!
Wenn ich aus dem Traum auffahr'
Und höre klingen ihr silbern Lachen,
O weh! O weh!
Ich wollt', ich läg' auf der schwarzen Bahr',
Könnt' nimmer, nimmer die Augen aufmachen!»
ALMA Ich
flehe Sie an! Hören Sie auf damit! Seien Sie endlich
still!
PAUL Aber
ja. Natürlich. Entschuldigen Sie. Worte sind ohnehin
nur Schranken zwischen den Menschen. Wirkliches Verstehen
funktioniert nur über das Schauen. Über den Blick.
Lassen Sie uns schweigend ineinander schauen.
ALMA Bitte,
verschonen Sie mich, ja?!
PAUL Warum?
Ist es Ihnen zu altmodisch? (Alma sieht ihn an.) Was geschieht
denn mit mir? Mein Gott, ich glaube, mich schaudert.
ALMA Oh Gott,
oh mein Gott! Womit hab' ich das verdient?!...
PAUL Sie
zittern doch auch, nicht wahr?
ALMA Was
soll ich nur mit Ihnen machen?
PAUL Fürchten
Sie sich?
ALMA Nein.
PAUL Warum
hassen Sie mich?
ALMA Ich
hasse Sie nicht. Ich verachte Sie, aber ich hasse Sie nicht.
PAUL Dann
verzeihen Sie. Es tut mir leid, daß ich überhaupt
angefangen habe.
ALMA Schön.
Dann halten Sie jetzt den Mund.
PAUL Das
werde ich. - Sie haben recht, ich muß schweigen. Immer
beginne ich zu sprechen, bevor ich weiß, was ich überhaupt
sagen will. Ich bin wie ein Sack voller Löcher. Ich spiele
den Clown, nur weil ich mich meiner Gefühle schäme.
Aber seien Sie unbesorgt. Ich habe mich nicht wirklich in
Sie verliebt. Es war nur ein Spiel, wie schon so oft. Ich
war überhaupt noch nie verliebt. Noch nie. Glauben Sie
mir das. Ich versuche, die Wahrheit vor mir selbst zu verstecken.
Es ist so einfach, Liebe vorzuspielen, vorzugaukeln! Liebe
zu Menschen, zu Überzeugungen, zu einem Glauben. Aber
in meinem Inneren ist so eine Leere! Was bringt uns eigentlich
dazu, unser Leben immer mit den falschen Leuten zu verbringen?
Die falschen Sachen auszusprechen, die falschen Dinge zu tun?
Was?! Sie wissen doch, wovon ich spreche? Nein? Ach, hören
Sie auf! Wenn Sie's nicht wissen...! In dem Punkt sind wir
doch wirklich verwandt. Das brauchen Sie nicht zu leugnen.
Verkaufen Sie mich nicht für dumm. Das ist so langweilig.
So langweilig. Sie schulden mir nichts, und ich Ihnen auch
nicht. Es gibt nicht die Spur einer Chance für uns zwei.
Warum können wir uns nicht die Wahrheit sagen? Rücksichtslos.
Das ist doch ein großer Luxus, finden Sie nicht? Wooww!!!
In der Ferne beginnen Schakale zu heulen.
ALMA Was
ist das?!
PAUL Schakale.
ALMA Schakale?!
Machen Sie Witze?
PAUL Nein.
ALMA Sind
die nicht gefährlich?
PAUL Nein,
nur verrückt.
ALMA Verrückt?
PAUL Ja,
deswegen heulen sie doch so.
ALMA Es klingt,
wie wenn sie ganz in der Nähe wären.
PAUL Sie
sind ganz in der Nähe. Schauen Sie nur, dort in der Dunkelheit,
die Schatten, die sich bewegen. Das sind sie. Es ist ein ganzes
Rudel. Sie kreisen uns ein.
ALMA Scheuchen
Sie sie weg! Bringen Sie sie um!! Tun Sie irgendwas!
PAUL (nimmt
einen Stein und schleudert ihn ins Dunkel:) Eine Dame aus
dem alten Europa kommt den blauen Vogel im Morgenlande suchen!!
Hi hi hi!! (Er heult Alma wie ein Schakal an.) Sie glauben
also doch an die Liebe? Sie glauben, daß die Liebe der
anderen Sie retten wird, hab' ich recht? Aber da irren Sie
sich. Sie hilft Ihnen höchstens, leichter einzuschlafen.
Aber von Rettung keine Spur. Denn es gibt immer einen Morgen
danach. Und der Morgen ist nicht die Zeit der Liebe. Der Morgen
ist die Zeit des Erwachens. Und wenn der Morgen ohne Liebe
ist, dann ist der Abend ohne Hoffnung! Wußten Sie das
nicht? Ich habe das bei mir selbst entdeckt. Stellen Sie sich
vor: Wenn ich mit jemandem schlafe, dann sind mindestens vier
Menschen daran beteiligt. Und ich bin erst zwanzig. Wie muß
das erst mit siebenundvierzig sein! Wieviele sind es denn
bei Ihnen, hmm? Seien Sie ehrlich. Zehn? Sechs? Zwei? Keiner...?
Oh, das muß aber sehr traurig sein... Ich möchte
nicht siebenundvierzig sein. Nicht um viel Geld! Wenn ich
einmal so alt bin, dann wird etwas Furchtbares geschehen.
Sie wissen, was ich meine. Uns treibt der Destruktionstrieb.
Uns hetzt der Todestrieb, der Wille nach Zerstörung.
Deswegen sind wir doch auch alle hier in dieses Land gekommen,
glauben Sie nicht?
ALMA Hören
Sie auf damit.
PAUL Ich
habe jede Zeile gelesen, die ihr Franzl geschrieben hat. «Die
Bestimmung zum ewigen Juden widerspricht unserer Emanzipation,
sie hat uns dazu gebracht, ein falsches Spiel zu spielen,
bis Otto Weininger einen symbolischen Tod für uns alle
gestorben ist.» Und was hat er gemacht, Ihr Herr Franzl,
nachdem er diesen Satz geschrieben hatte? Hat er vielleicht
sein falsches Spiel beendet? Hat er vielleicht seine eigene
«Ahasver'sche Bestimmung» abgelegt? Nein! Es sind
nur Worte, Worte, Worte!! Er ist zu Besuch hier in Palästina!
Ach, wie nett! Und dann kehrt er wieder zurück in seine
Gehschule und schreibt ein neues Buch, so überflüssig
wie die anderen davor? Oder ein Theaterstück, ein Weltendrama:
«Paul unter den Juden»? Das wäre doch ein
Titel. Ich heiße nämlich zufällig auch Paul.
ALMA Ihr
seid ja erstaunlich belesen, Ihr Menschen hier.
PAUL Worüber
wundern Sie sich, Madame? Wir sind deutsche und österreichische
Juden. Die einen sind Schüler von Freud, die anderen
von Siegfried Bernfeld...
ALMA Und
Sie?
PAUL Ich
korrespondiere mit Max Brod und Martin Buber.
ALMA Sie
haben also hier, scheint's, Ihr Heil gefunden.
PAUL Sie
wissen doch gar nichts von mir, liebe Frau. Ich bin doch nur
ein Clown. Und Sie lachen über mich, weil Sie glauben,
ich mache nur Spaß. Aber in Wahrheit bin ich ich eine
taube Nuß. Eine Atrappe. Ein Spötter. Ich weiß
nur, daß ich zornig bin, wenn ich mich schreien und
toben höre. Ich muß mich seufzen und weinen hören,
damit ich überhaupt weiß, daß ich traurig
bin. Muß lachen und singen, um zu wissen, daß
ich guter Laune bin. Erst wenn ich im Totenbett liege, werde
ich wissen, daß ich einmal am Leben war. Aber da sind
Sie ja anders, nicht wahr? Sie sind eine Liebesverwerterin.
Sie verwerten die Liebe von Geistesgrößen, Gustav
Mahler, Oskar Kokoschka, Walter Gropius, Franz Werfel! Wooww!...
Aus was für starken Gefühlen und exorbitanten Regungen
muß Ihre Existenz gezimmert sein!... Was spielen Sie
doch für eine erbärmliche Komödie. Man kann
Sie wirklich nur bedauern.
ALMA Was
erlauben Sie sich?! Wie sprechen Sie denn über mein Leben!!
Sie haben doch nicht die geringste Ahnung!!
PAUL Wen
interessiert denn Ihr Leben?! Was bilden Sie sich denn ein?!!
Ich rede von mir. Nur von mir. Ich wollte unbedingt hierher
nach Palästina kommen. Ich sagte mir: Wenn dazu imstande
bist, dann wird auch endlich ein Mensch aus dir werden. Mit
Ideen und einer Geschichte und Anschauungen! Jetzt bin ich
da - und nicht ist passiert. Gar nichts. Ich bin der selbe
läppische Student, der ich in Europa war. Und da kamen
Sie. Und ich sagte mir: Alma! Ja! Ja! Verliebe dich in Alma!
Verliebe dich in diese Frau!! Sie wird etwas aus dir machen,
sie wird deinem Leben einen Sinn geben. Aber schauen Sie mich
an: Ich warte. Ich warte immer noch, daß ich mich in
Sie verliebe, aber nichts geschieht. Nichts rührt sich.
Aber ich bin bereit. Allzeit bereit. Bereit für den Augenblick,
in dem meine Liebe zu Ihnen explodiert und zu einer Stichflamme
emporlodert, um Sie in meinen Armen aufzufangen, zu halten
und zu lieben. Ein Leben lang. Ich bin am qui viv, ich lasse
nicht nach, «bereit sein ist alles», denn um nichts
in der Welt möchte ich den Moment versäumen, wenn
es mich durchzuckt, wenn Ihre Erleuchtung mich in einen legendären
Liebeshelden verwandeln wird, von dessen Leidenschaft kommende
Generationen voll Schauder und Ehrfurcht sprechen werden.
Romeo und Julia, Antonius und Cleopatra, Bonnie und Clyde,
man wird uns in einem Atemzug mit ihnen nennen. In der Zwischenzeit
können Sie ja mit Ihrem Franzl noch ein bißchen
in Breitenstein am Semmering ausharren und warten, bis es
soweit ist.
ALMA Hören
Sie auf...
PAUL (singt:)
Ich hab ein glühend Messer in meiner Brust...
ALMA Hören
Sie auf!! Hören Sie auf!!!
PAUL «O
weh! O weh! Das schneid't so tief
In jede Freud' und jede Lust,
So tief, so tief! ...»
ALMA Hören
Sie auf! Sie infantiler Mensch! Hören Sie auf! Mein Gott!
Was hat mich dazu gebracht, mich hierher schleppen zu lassen,
in dieses Irrenhaus?! Ich möchte raus hier! Ich möchte
raus!! Raus!! Raus!! Raus!! Ich will zurück nach Wien!!!
PAUL versucht ALMA zu beruhigen, indem er sie in die Arme
nimmt. Das macht sie nur noch wilder.
ALMA Lassen
Sie mich zufrieden! Gehen Sie weg! Hauen Sie ab! Rühren
Sie mich nicht an! Sie räudiger Schakal! Sie Koyote!
Sie lausiger Affe!!! Geh'n Sie weg!! Ich möchte sterben!!
Ich widere mich schon selbst an!
PAUL Alma!
Alma! Was sind Sie doch für eine wundervolle Frau!
ALMA Nein!
Ich bin keine Frau! Lassen Sie mich!!
PAUL Sie
sind die wunderbarste Frau, der ich je begegnet bin! Glauben
Sie mir das.
ALMA Ich
möchte aber keine Frau sein. Ich möchte nicht!!!
Verstehen Sie?! Es kotzt mich an. Ich kann das Wort «Frau»
schon nicht mehr hören! Dieses Dreckswort! Ich hasse
es, «Frau» zu sein! Ich bin ein Monster!
PAUL Alma,
ich liebe Dich!
ALMA Hören
Sie auf! Ich ertrage es nicht! Ich kann es nicht mehr hören!
Ich kann es nicht mehr hören!! Nicht diesen Satz! Nicht
diesen Satz! Ich muß... Oh, Gott, ich muß... (sie
würgt)
PAUL Alma,
wir lieben Dich alle!!!
ALMA (erbricht:)
Nein. Nein. Niemand liebt mich. Niemand. Keiner hat mich je
geliebt. Ich auch nicht. Ich habe auch nie jemanden geliebt.
Keinen. Nicht Klimt mit seinem Sabbermaul, nicht den potthäßlichen
Burckhard, nicht Mahler in seinem unerträglichen Gestank,
nicht den Oberlangweiler Gropius und schon gar nicht Franzl,
den kleinen verwöhnten Juden mit seinen lächerlichen
O-Beinen und seiner unersättlichen, krankhaften Gier,
mich überall zu nehmen, wo es ihm paßt, in jeder
denkbaren und undenkbaren Stellung! Ich möchte sterben!
Oh, mein Gott, ich möchte sterben!! Ich möchte sterben!!
Ich möchte nur mehr sterben!! (Bricht unter Tränen
in Pauls Armen zusammen.)
PAUL (singt
beruhigend Mahlers Lied:)
«Ich hab ein glühend Messer in meiner Brust
O weh! O weh! Das schneid't so tief
In jede Freud' und jede Lust,
So tief, so tief!
Ach, was ist das fuer ein böser Gast!
Nimmer hält er Ruh',
Nimmer hält er Rast,
Nicht bei Tag, noch bei Nacht, wenn ich schlief!
O weh! O weh! ...»
ALMA Franz!!!
Franz!!!!!
|