5c ON THE ROAD TO THE PAST > download Word-Doc Berlin. Ein Bus. ALMA und WERFEL, die Zionistin HULDA und der Chauffeur PAUL . PAUL Herr Werfel, ich habe eine Überraschung für sie: Eine Zeitmaschine! WERFEL Eine Zeitmaschine? Was ist das? PAUL Sie kann sie in die Vergangenheit führen, an welchen Ort auch immer. Aber auch in die Zukunft. Ganz nach ihrem Belieben. WERFEL Wirklich? Na gut. Dann möchte ich nach Palästina! 1929. Meine Hochzeitsreise mit Alma. PAUL Herr Werfel, das wollen Sie sich antun? Ist das Ihr Ernst? WERFEL Natürlich. Das war wohl der bedeutendste Moment meines Lebens. PAUL Ich bin nicht sicher, ob Ihre Frau da mitmacht. Sie hat mir gesagt sie möchte nach Berlin in die Dreissiger Jahre. Die Cafes, die Boulevards, das ganze Treiben - und die Zeit Ihrer grossen Erfolge, Herr Werfel! Ihre Frau erzählte mir, dass die Stadt geradezu einen juwelenartigen Glanz hatte, besonders bei Nacht. Und überall war Musik. WERFEL Und Nazis. PAUL Tun Sie ihr doch den Gefallen. Herr, Werfel - Ladies first! Ich habe Ihnen auch ein paar Freunde mitgebracht. Die Herren Seligmann und Horowitz. Samt ihren Instrumenten. WERFEL Sie sind ein Schlawiner. - Also gut: Berlin. Aber danach Palästina! Oder geht das gleichzeitig? PAUL Ich fürchte nein, auch eine Zeitmaschine kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein - und in verschiedenen Zeiten schon gar nicht. WERFEL Na schön. Palästina muss warten. Nach zweitausend Jahren Warterei kommt darauf auch nicht mehr an. PAUL Ah da ist sie ja! MUSIK 1 Jiddische Mame (Einsteigen) LOSFAHREN WERFEL Ja, ich bin recht, es ist die alte Gasse. Hier wohn ich dreissig Jahr ohn Unterlaß
Bin ich recht hier?? Mich treibt ein Irgendwas, Das mich nicht loslässt, mit der Menschenmasse. Da, eine Sperre starrt
Eh ich mich fasse, Packt' s meine Arme: Bitte, ihren Paß! Mein Paß? Wo ist mein Paß!? Von Hohn und Haß Bin ich umzingelt, wanke und erblasse
Kann soviel Angst ein Menschenmut ertragen? Stahlruten pfeifen, die mich werden schlagen, Ich fühl noch, dass ich in die Kniee brach
Und während Unsichtbare mich bespeien: Ich hab ja nichts getan, - hör ich mich schreien, Als dass ich eure, meine Sprache sprach. ALMA Ahhh! Wie poetisch! Wie poetisch, Franz! Seit langem endlich wieder einmal ein dichterisches Zeichen von dir! Bravo! Bravo! WERFEL Wie sollte ich denn schreiben, Liebste, wenn du nicht müde wirst, mich Tag und Nacht daran zu erinnern, daß ich nicht Thomas Mann bin?! ALMA Es ist die Wahrheit, Franz. Die bittere Wahrheit. Du bist nicht Thomas Mann. Noch nicht. Obwohl du hundertmal mehr Talent hast...! WERFEL Ich möchte aber gar kein Thomas Mann werden, verstehst du, meine Liebe! Ich möchte nicht! Ich möchte ein Franz Werfel werden, sonst gar nichts! ALMA In dem Fall brauchst du dich gar nicht sehr anzustrengen. Du mußt überhaupt nichts tun. Entspann dich, iß, trink', rauch, genieß' das Leben, dann wirst du in kürzester Zeit so aussehen wie Franz Werfel: fett, schwabbelig und ungustiös! Wähhhhh!!! WERFEL Hört, hört! Wer spricht denn da? Die schlanke, ranke Alma? ALMA Oi, oi, oi! Was ist denn auf einmal los mit dir, Franzl? Warum bist du denn plötzlich so agressiv, so mutig? Das kenn' ich ja gar nicht an dir. Ich frage mich wirklich, was dich auf einmal so kühn und verwegen macht? WERFEL Weil ich bei meinem Volk bin, nicht wahr? Das willst du doch in der dir eigenen geschmackvollen Art sagen? ALMA Offensichtlich genießt du es ja, bei «deinem Volk» zu sein. In vollen Zügen!! WERFEL Was für ein scharfes Auge du hast, Alma. Ein Adlerauge. Ja, es stimmt, ich genieße jeden Augenblick meines Besuches hier in meiner Vergangenheit. MUSIK 2 (Das ist die Berliner Luft) Einbiegen in den GENDARMENMARKT ALMA Ahh, Berlin, Berlin, Berlin!!! Die Grossstadt! Das wilde Treiben! Die Boulevards! Gendarmenmarkt! Unter den Linden! Die Theater! Die Opernhäuser! Die Cafes! Ahhh...!!!! Göttlich! Erinnerst du dich an die Triumphe, die du bei Max Reinhardt gefeiert hast?! Am Deutschen Theater?! Ganz Berlin ist Kopf gestanden! Nicht mal am Schwarzmarkt hat man Karten bekommen! Du warst in aller Munde!! WERFEL Jaja, stimmt. Stimmt. Das ist nun fast 1000 Jahre her. ALMA Rede keinen Blödsinn! Das war 1926, und drei Jahre später wieder ein Hit: "Paulus unter den Juden": Karl-Heinz Martin hat inszeniert, Ernst Deutsch hat gespielt, Kurt Gerron, Friedrich Kaysler... Mein Gott! Die Creme de la Creme von Berlin war da! Die Premierenfeier war im Adlon! Am 20. April 29! WERFEL Jaja, an dem Tag hat wer anderer auch noch gefeiert... - Und der hat 6 Jahre vorher meine Bücher verbrennen lassen... ALMA Berlin war das Zentrum der Welt! WERFEL Ja, leider. - "Ich übergebe dem Feuer die Bücher von Franz Werfel --" ALMA Sei doch nicht immer so ich-bezogen! Du musst die Zusammenhänge sehen! Wir hatten doch eine herrliche Zeit! Wir waren mit Helene und Alban Berg im Borchardt! Da drüben! Du hast Crepe Suzette bestellt. Erinnerst du dich? Wann war das noch mal? WERFEL Kurz nach dem anderen Souffle: "Ich übergebe den Flammen..."--- ALMA Ah, da war doch... - Hör doch auf, Franzl! Du zerstörst jede schöne Erinnerung mit deinem Defaitismus! WERFEL Es ist nicht mein Defaitismus, Alma. Es ist Adolfs Defaitismus! ALMA Du lebst nur in Erinnerungen! Ich hab langsam die Nase voll davon! WERFEL Erinnerung ist das höchste Gut einer Zivilisation! Ohne Erinnerung sind wir tot! ALMA Seit wir auch nur einen Fuß ins deine gottverdammte Vergangenheit gesetzt haben, gibt's nichts als Schwierigkeiten! WERFEL Wie kannst du das sagen? Ich fühle mich herrlich! Ein Erlebnis jagt das andere. ALMA Was ist daran herrlich?! Wo man hier auch hinschaut - nichts als qualvolle, schreckliche Erinnerungen!! Einfach fabelhaft! - Ganz zu schweigen von diesen bezaubernd hässlichen russischen Juden, die man uns an die Seite gestellt hat. WERFEL Ich finde sie sehr charmant. ALMA Sehr charmant, ja! - Bis der Klarinettist herausfand, daß ich keine Jüdin bin. Da wurde er besonders charmant, dieser widerliche Chauvinist. WERFEL Das einzige, was dich gestört hat, war sein Humor. ALMA Was denn für ein Humor?! «Schauen sie, Frau Werfel, machen sie sich keine Sorgen, solange sie mit ihrem Gatten reisen in unsere Vergangenheit, sind sie für uns auch eine Jüdin!» - Köstlich! Zum Schieflachen! WERFEL Es ist typisch jüdischer Humor. ALMA In meinen Augen ist das nichts weiter als abstoßender Chauvinismus. WERFEL Alma, mein Schatz, die Leute hier tun wirklich ihr Bestes, um uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. ALMA Wer hat sie denn darum gebeten? Hä?! Wer hat denn zum Beispiel diesen langweiligen Seligmann gebeten, uns stundenlang mit Geschichten über seine blödsinnige Familie zu löchern?! WERFEL Er wollte doch nur herausfinden, ob wir gemeinsame Verwandte haben. ALMA Warum solltest du mit ihm verwandt sein? Warum?! Das ist doch zu blöd. Was gibt ihm das Recht, seine Nase in unsere Familienangelegenheiten zu stecken?! WERFEL In meine, mein Schatz, nur in meine. ALMA Immerhin bin ich deine Frau, ja? Also geht es mich genauso an! Kurz vor dem Einbiegen UNTER DEN LINDEN WERFEL Kinder eines auseinander gerissenen Volkes, meine Liebe! Ohne Hoffnung, ohne Land! Über die ganze Welt verstreut! Sie können eben der Versuchung nicht widerstehen, die Pfade zu verfolgen, in denen die Fußstapfen ihre Eltern der Welt eine Katastrophe erzählen. TONZUSPIELUNG BÜCHERVERBRENNUNG (Beim Übergang Deutsche Bank zum 3. Haus) DEUTSCHLANDLIED (abblenden) KLEZMER MUSIK 3 (Vun Taschlik) ANKUNFT Eine kurze Explosion, ein kleiner Rauchpilz - und der Bus bleibt stehen. ALMA Was ist los? PAUL Ich fürchte, wir sitzen fest. Unsere Zeitmaschine sitzt in der Vergangenheit fest. Es war zuviel für sie. PAUL und HULDA steigen aus, PAUL öffnet die Motorhaube und beginnt den Motor zu untersuchen. WERFEL und ALMA bleiben im Auto sitzen. PAUL Entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche, aber ich fürchte, unsere Zeitmaschine ist hinüber. ALMA Hinüber? Was soll das heißen «hinüber»?! PAUL Sie ist ruiniert, irreparabel, er gibt keinen Muckser mehr von sich. In einem Wort: sie ist hinüber. Wir sitzen fest. Ich sehe kaum noch eine Chance, dass wir uns von der Vergangenheit lösen können. WERFEL Wollen sie damit sagen, daß wir nicht weiter können? Da versäumen wir ja die ganze Zukunft meines Volkes. HULDA Aber nein, warum sollten wir die denn versäumen? Wir lassen die Zeitmaschine einfach hier stehen und gehen zu Fuß weiter. WERFEL Na schön, dann los! Machen wir uns auf den Weg...! ALMA Ohne mich. WERFEL Was?! ALMA Ohne mich!! WERFEL Auch gut. Wie du willst. ALMA Ich hoffe, du verirrst dich und krepierst! HULDA Ich komme mit. Ich zeige ihnen den Weg in die Zukunft. WERFEL (geht los, dreht sich noch einmal um:) Was ist los, Alma?! Kommst du?! ALMA (klettert zurück ins Auto:) Ich denke gar nicht daran. Mit dir in deine Zukunft gehen? Ich traume gar nicht davon. Ich mache keinen Schritt. WERFEL Mein Gott, du kannst doch nicht hierbleiben. Mitten in der Vergangenheit! ALMA Das ist mir wurscht! Diese Zeitmaschine ist meine einzige Rettung, meine letzte Verbindung zur Zivilisation, ich bewege mich hier keinen Schritt weg, und wenn es mich das Leben kostet! PAUL Keine Angst, ich bleibe hier, bei ihr. Vielleicht haben wir Glück. WERFEL Alma, ich flehe dich an... sei doch vernünftig! ALMA Geh! Geh! Geh! Verschwinde! Du rücksichtsloser Egoist! Du Unmensch! WERFEL Na schön. Du hast es so gewollt. Adieu! Adieu!!! WERFEL und HULDA machen sich auf den Weg. ALMA bleibt mit PAUL zurück. |