VENUS IM ÖL
von Matthias Dusini
BIOGRAFIE Männerschwarm und Muse, Alkoholikerin und
Antisemitin: Alma Mahler war noch schlimmer als ihr Ruf. Zu
diesem Ergebnis kommen neue Biografien über sie und ihre
Tochter Anna, die heuer hundert Jahre alt geworden wäre.
"Wozu schlafen, wozu wachen. Ob man nun säuft,
frisst, vögelt oder krampfig-asketisch Werke-Werte schafft,
alles ist gleich." Diese düsteren Gedanken vertraut
Alma Mahler am 16.4.1939 im Pariser Exil ihrem Tagebuch an.
Ihre Ehe mit dem jüdischen Schriftsteller Franz Werfel
ist zerrüttet ("die Rassenfremdheit ist unüberbrückbar").
Aber obwohl Adolf Hitler der sechzigjährigen Wiener Salonlöwin
als "Genie an der Spitze eines großen Volkes"
erscheint und sie dem Diktator und Bruckner-Fan gerne die
Partitur von dessen dritter Sinfonie verhökern möchte,
entschied sie sich zur Emigration. Die Josef-Hofmann-Villa
auf der Hohen Warte, das Haus in Venedig, der geliebte Priester
Johannes Hollnsteiner, das alles lässt sie zurück
und folgt dem Bestsellerautor Werfel in das vom Krieg bedrohte
Frankreich. "Sie hatte Angst vor dem, was gekommen wäre,
wenn sie Werfel verlassen hätte", erklärt der
Biograf Oliver Hilmes (siehe Interview im Falter 33/04) Almas
paradoxe Entscheidung für ein Leben inmitten des "jüdischen-kommunistischen
Klüngels" (Alma).
Was dieses intime Geständnis bei aller Melancholie aber
auch vermittelt, ist das unverblümte Bekenntnis Mahler-Werfels
zu den elementaren Dingen des Lebens. Die asketische Abgeschiedenheit
einer Künstlerexistenz war ihre Sache nicht, das Saufen
und Vögeln schon eher. Die schwergewichtige, leidenschaftliche
Trinkerin des Kräuterlikörs Benediktiner, einst
als schönstes Mädchen Wiens berühmt, hinterließ
bei ihrem Tod vor vierzig Jahren in New York zwar einige Kompositionen,
zur Ikone des zwanzigsten Jahrhunderts aber war sie durch
ihr Sexleben geworden. Ihr Ruf als Schlampe der Wiener Moderne
wäre längst verhallt, hätten ihre Liebhaber
und Ehemänner nicht zu den bekanntesten Künstlern
des vergangenen Jahrhunderts gezählt. In der neuen Alma-Biografie
des deutschen Historikers Oliver Hilmes - es ist die bisher
sechste - umfasst die Liste prominenter Zeitgenossen, die
Alma Mahler-Werfels Wege und teilweise auch ihre Betten kreuzten,
eine ganze Buchseite. Die Biografie befriedigt die voyeuristischen
Bedürfnisse einer versauten Gossip-Leserschaft und rechtfertigt
den Blick unter die Tuchent mit dem kulturhistorischen Kaliber
der darunter Gebetteten.
"In der bürgerlich verklemmten Gesellschaft der
Jahrhundertwende war es schon etwa Besonderes, wenn eine Frau
derart erotisch ungeniert in den Vordergrund tritt",
erklärt die Historikerin Brigitte Hamann die Faszination,
die zu Lebzeiten von Alma ausging. "Wie wenige Frauen
haben weniger als fünf Liebhaber gehabt", relativiert
Johannes Trentini, 94, am Telefon eines Innsbrucker Altersheims,
Almas Promiskuität. Er nennt Alma seine Ersatzmutter,
schildert sie als geistreiche, empfindsame Frau, die "Männer
animiert hat, das Schöpferische auszunutzen".
Präsent ist Alma zurzeit durch das seit 1996 alljährlich
aufgeführte Polydrama "Alma - A Show Biz ans Ende"
von Joshua Sobols in der Regie von Paulus Manker. Nach Wien,
Venedig und Lissabon macht das Stück derzeit an Mahler-Werfels
vorletztem Wohnort Los Angeles Station. Für die anhaltende
Popularität der Figur sorgte die 1960 erschienene und
sehr erfolgreiche Autobiografie, in der sich die Wienerin
zur aufopfernden Muse stilisiert, die zugunsten ihrer Männer
auf eine eigene künstlerische Karriere verzichtet. Dieses
Bild wird von Hilmes korrigiert, der auf unbekannte Textquellen,
vor allem aber auf bisher unveröffentlichte Tagebücher
zurückgreift.
Als Alma den um 19 Jahre älteren Hofoperndirektor Gustav
Mahler kennen lernt, ist sie 22 Jahre alt und Kompositionsschülerin
von Alexander von Zemlinsky. Eine Liebesgeschichte mit Mahler
beginnt. Bald darauf schreibt ihr dieser einen Brief, in dem
er Alma mitteilt, keine Konkurrenz im eigenen Haus zu dulden.
Gleichzeitig stellt er es ihr aber frei, die Beziehung zu
beenden, sollte sie auf ihre Arbeit nicht verzichten wollen.
"Ich habe das Gefühl, als hätte man mir mit
kalter Faust das Herz aus der Brust genommen", notiert
Alma - wie immer ohne eine Spur von Ironie. Drei Monate später
wird geheiratet, ein unglückliches Eheleben mit dem Workaholic
beginnt. 1904 kommt ihre zweite Tochter Anna Justina zur Welt,
sie wird in Elias Canettis Buch "Augenspiel" verewigt
werden, die ältere stirbt 1907 an Diphtherie.
Die dreißigjährige Berufsgattin beginnt während
eines Kuraufenthalts im steirischen Tobelbad eine Affäre
mit dem deutschen Architekten und späteren Bauhaus-Mitbegründer
Walter Gropius. Zunächst gibt es aber noch jede Menge
Ärger mit dem herzkranken Gatten, der die Liebesbriefe
des Zukünftigen an Alma entdeckt. Zwecks Analyse des
verglommenen ehelichen Liebeslebens konsultiert Mahler Sigmund
Freud, schreibt Alma überschäumende Liebesbriefe,
kritzelt in die Partitur seiner 10. Symphonie wahnhafte Liebesschwüre.
Alma wird sie später als Faksimile publizieren. Der Status
als Mahler-Witwe ist ihr symbolisches Stammkapital. Obwohl
sie Mahler um 53 Jahre überlebt, schreibt sie keine Note
mehr.
Als der weltberühmte Komponist 1911 begraben wird, ist
Alma 32, attraktiv, reich, die Männer stehen Schlange.
Der junge Maler Oskar Kokoschka hätte ohne sie einige
seiner besten Bildern nicht gemalt. Nach dem Ende der Affäre
wird er sich in Dresden eine Puppe als Alma-Substitut anfertigen
lassen, die er modisch einkleidet, an sonnigen Tagen spazieren
fährt und der er später während eines Gartenfestes
den Kopf abhackt.
Alma heiratet Walter Gropius, findet es aber ausgesprochen
unheldisch, dass dieser im Krieg eine Hundeschule leitet.
"Mein Mann muss erstrangig sein." Ihre Briefe an
die Front sind dennoch nicht frei von Demut: "Das erste
Mal, wenn wir uns wieder sehen, werde ich an dir zu Boden
sinken, auf Knien bleiben, kniend dich bitten, mir mit deinen
Händen das heilige Glied in den Mund zu stecken."
Das gemeinsame, früh an Kinderlähmung verstorbene
Kind Manon wird zum idealisierten Liebesobjekt der umtriebigen
Mutter. Alban Berg widmet ihr sein Violinkonzert mit den Worten:
"Dem Andenken eines Engels." Noch vor Kriegsende
tritt jener Mann in ihr Leben, mit dem Alma am längsten
zusammen sein wird: der 27-jährige Autor Franz Werfel.
"Werfel ist ein O-beiniger, fetter Jude mit wülstigen
Lippen und schwimmenden Schlitzaugen! Aber er gewinnt, je
mehr er sich gibt." Sie beginnt eine Affäre mit
dem Autor, aus der ebenfalls ein Kind hervorgeht, das bald
nach der Geburt stirbt und diese überhaupt nur mit knapper
Not noch erlebt, löst der heftige Sex mit Werfel im Sommerhaus
in Breitenstein (Gropius saß gerade in einem Militärzug)
doch starke Blutungen aus. Werfel im Tagebuch: "Wir liebten
uns! Ich schonte sie nicht!"
"Die Frau als Hure war das Ideal der Wiener Moderne.
Dass eine Frau den Spieß umdreht und das Heft in die
Hand nimmt, war die Provokation", erklärt Brigitte
Hamann. Abtreibungen, Fehlgeburten, der frühe Tod mehrerer
Kinder sind die tragische Seite dieser frühen Version
von "Sex and the City". Durch ihr Kommunikationstalent
ist Alma Mahler das, was die Netzwerktheorie einen Hub nennt:
ein Knotenpunkt des kulturellen Feldes. Als Frau von offiziellen
Machtpositionen ausgeschlossen, bediente sie die Schalthebel
des Kulturbetriebs inoffiziell von ihrem Salon aus. Almas
mit Begehren gepaarte Boshaftigkeit macht sie zur spannenden
Figur einer kulturgeschichtlichen Soap-Opera. Wenn die Gesellschaftskritik
misogyner Asketen wie Adolf Loos oder Karl Kraus ein Gesicht
gehabt hätte, wäre es dem Almas sehr ähnlich
gewesen.
Angesichts der schwierigen Persönlichkeitsstruktur ihrer
"Tiger-Mami" hat Anna, deren Geburtstag sich heuer
zum hundertsten Mal jährt, das Beste aus ihrem Leben
gemacht. "Sie bestand aus Augen, was immer sonst man
in ihr sah, war Illusion", beschreibt der Schriftsteller
Elias Canetti in seiner Autobiografie die Tochter von Alma
und Gustav Mahler. Auch der Titel des Buches "Das Augenspiel"
bezieht sich auf jene schönen, großen Sehorgane,
denen der damals unbekannte Twentysomething verfiel. Die Schriftstellerin
Marlene Streeruwitz arbeitete das Leben der 1988 in London
verstorbenen Bildhauerin in ihren Roman "Nachwelt"
(1999) ein. Streeruwitz schickt die Romanfigur Margarethe
nach Los Angeles, um mit Zeitzeugen über Anna zu sprechen.
Dabei verschwimmt die Recherche mit der persönlichen
Situation der Biografin, ein Kunstgriff, der den Objektivitätsanspruch
historisch-biografischen Schreibens relativiert. Eine Ausstellung
und ein Buch der Österreichischen Exilbibliothek versuchen
nun, das Werk der Wotruba-Schülerin zu würdigen,
wobei auch dies außerhalb des biografischen Zusammenhangs
unmöglich ist. Als Künstlerin war Anna mäßig
erfolgreich. Die meisten ihrer frühen Porträtköpfe,
die im Atelier gegenüber der Staatsoper entstanden, wurden
im Krieg zerstört. Einer ihrer typischen stilisiert-figurativen
Marmorakte ist auf Fotos des Österreich-Pavillons der
Pariser Weltausstellung von 1938 zu sehen. "Die Stehende"
(1938) stand vor der von Oswald Haerdtl entworfenen Glasfassade
wohl auch deshalb, weil die Künstlerin über gute
Kontakte zu den Kulturpolitikern des Ständestaates verfügte.
Beeindruckend an Anna Mahlers Werk ist weniger dessen ästhetische
Eigenwilligkeit als die Kraft, mit der sie sich den Weg an
den übermächtigen Eltern vorbei freimeißelt.
Bereits mit 16 heiratet sie den unbekannten Musiker Rupert
Koller, den sie nach wenigen Monaten verlässt. Als Zwanzigjährige
gibt sie dann dem jungen Komponisten Ernst Krenek ihr Jawort,
den ihre Rabenmutter unverschämterweise bittet, er möge
doch Skizzen von Gustav Mahlers zehnter Symphonie vervollständigen.
Doch der Schwiegersohn schlägt dem "prächtig
aufgetakelten Schlachtschiff" (Krenek) die Bitte ab.
Annas Ehemann Nummer drei ist der Verleger Paul Zsolnay, dessen
Unternehmen eng mit Annas Familie verknüpft ist. Bei
Zsolnay erscheint Franz Werfels erster Roman "Verdi.
Roman der Oper". Dass der Roman zum Bestseller wird,
ist in nicht geringem Maße Alma zu verdanken, die ihren
Franzl zum Arbeiten ins Sommerfrischhaus nach Breitenstein
schickt und ihm auch das Erfolgsrezept mit auf den Weg gibt:
"dass das Buch so gut sein müsse, wie nur irgendeiner
von diesen Klassikern', sich aber zugleich zum Verkauf
an den Zeitungsständern der Bahnhöfe eignen solle".
Für die Veröffentlichung der intimen Briefe Gustav
Mahlers handelt sich Alma lukrative Sonderkonditionen aus.
Entscheidender als ihre beiden weiteren Ehen (mit dem Dirigenten
und Komponisten Anatole Fistoulari und dem amerikanischen
Regisseur und Filmcutter Albrecht Joseph) ist Almas Affäre
mit dem Unterrichtsminister und späteren Bundeskanzler
Kurt von Schuschnigg, die erst endet, als Schuschniggs Frau
Herma bei einem Autounfall ums Leben kommt und Kurts katholisches
Gewissen sich zu regen beginnt. Derweilen hatte Alma ihre
Villa auf der Hohen Warte längst zum Salon des Ständestaates
gemacht.
Durch ihren aktuellen Liebhaber, den Theologieprofessor Johannes
Hollnsteiner, der sich nur im Talar an das Zölibat gebunden
sah, möchte sie ihren Bekanntenkreis ein wenig "ajudifizieren".
Ihren Gatten weiß sie zu beruhigen: "Ach, Franzl,
weißt du, eine Frau kann in vielen Kirchen beten."
Über Hollnsteiner hat Alma Einfluss auf kulturpolitische
Entscheidungen. Dem Staatsoperndirektor Felix Weingartner
wird seine Geringschätzung Gustav Mahlers zum Verhängnis;
ihm wird ein Rücktritt "aus gesundheitlichen Gründen
nahegelegt". Ihre bereits im Rollstuhl sitzende Tochter
Manon verlobt Alma mit einem jungen Streber aus dem katholischen
Politklüngel. Noch Jahre später bezeichnete sie
Manon als ihre "einzige Tochter". Die anderen zwei
seien "halt Mischlinge". So endet jede Geschichte
über Anna mit Alma.
Oliver Hilmes: Witwe im Wahn.
Das Leben der Alma Mahler-Werfel.
München 2004 (Siedler). 477 S., EUR 27,40
Barbara Weidle, Ursula Seeber (Hg.): Anna Mahler.
Ich bin in mir selbst zu Hause.
Bonn 2004 (Weidle). 239 S., EUR 25,80
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