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Das Polydrama
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2a ADIEU, ALEX ZEMLINSKY!
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1901. ALMA und ALEXANDER ZEMLINSKY im Streit. RESERL macht die Küche.

ZEMLINSKY   Alma! - Was ist denn auf einmal los mit dir? - Hab' ich was falsch gemacht? Alma, bleib da! Hab ich dich verletzt? ... Alma!! Wieso bist du denn auf einmal so böse auf mich? Alma, erinner' dich! Hast du das alles vergessen? Es war doch wunderbar, oder? Und jetzt auf einmal... Bleib doch stehen! Was soll denn das?! ... Antworte mir, Alma! Sag wenigstens, was los ist! Ich kann es ja nicht ahnen! Welche Todsünde hab' ich denn begangen, daß du mich so...

ALMA   Mein armer Alex...

ZEMLINSKY   «Mein armer Alex!»... Ist das eine Antwort? Soll das ein Trost sein? Wofür? Ich weiß, daß ich arm bin. Du hast ja ausreichend dafür gesorgt, daß ich es nicht vergesse. Ich bin unansehnlich, unwichtig, ein Hungerleider...

ALMA   Mach dich nicht lächerlich!

ZEMLINSKY   Jetzt bin ich auch noch lächerlich? - Du hast es gerade gesagt. Du brauchst dich gar nicht dafür zu entschuldigen. Das macht's auch nicht besser.

ALMA   Waren wir nicht immer gute Freunde... Lassen wir's dabei.

ZEMLINSKY   Gute Freunde?... Machst du Witze? Wir sind ein Liebespaar, mein Schatz. Vergiß das nicht! Ich habe dir nichts verheimlicht und du mir auch nicht! Gar nichts! Ich habe dich berührt...

ALMA   Du hattest mein Leben und ich das deine.

ZEMLINSKY   «Mein Leben?»?... Das nennst du «Mein Leben»? Dann hast du gespielt mit meinem Leben. Und wie du damit gespiel hast! Du hast es in die Hand genommen, du hast es dir auf der Zunge zergehen lassen...

ALMA   Bitte, werde nicht gewöhnlich, ja!

ZEMLINSKY   Alma, ich weiß ja, daß ich kein Adonis bin. Aber...

ALMA   Alex, ich warne dich! Hör auf damit!

ZEMLINSKY   Ja, ja. Du hast es mir oft genug gesagt.

ALMA   Das war doch nur im Spaß.

ZEMLINSKY   Nein, nein, das war nicht im Spaß, meine Liebe, das war gar nicht im Spaß. Ich weiß doch, wie deine Verehrer über mich reden, ich gebe mich da keiner Illusion hin. Es ist alles wahr. Alles ist wahr. Alles, was sie sagen, stimmt.

ALMA   Äußerlichkeiten haben mich noch nie interessiert.

ZEMLINSKY   Oh doch, meine Liebe, sie interessieren dich sogar sehr! Dazu kenn' ich dich jetzt schon gut genug. Geld, Ruhm, Glanz, Glorie...

ALMA   Das hast du doch alles, Alex! Und du hast Genie. Vergiss das nicht!

ZEMLINSKY   Ich bin mir da nicht mehr so sicher, weißt du?

ALMA   Willst du Komplimente hören? Ja? Du bist ein Genie. Und was für ein Genie du bist!

ZEMLINSKY   Alma! Ich brauche dich, verstehst du?! Ich will dich haben! Für mich will ich dich. Geh' nicht weg von mir! Bitte! Mein Gott, so laß mich doch nicht so betteln wie ein kleines Kind. Hast du denn soviel zu geben, daß die anderen immer betteln müssen? - Na schön. Ich habe nichts. Ich muß betteln.

ALMA   Hör sofort auf!! Hör sofort auf!!! Verstehst du mich?! Hör sofort auf, dich zu erniedrigen. Ich ertrage es nicht. Du darfst dich nie, nie, hörst du, niemals vor mir erniedrigen. Du darfst nicht um meine Liebe betteln!

ZEMLINSKY   Wenn du sie mir verweigerst...

ALMA   Damit versetzt du dir den Todesstoß, verstehst du das nicht? Wenn jemand um Hilfe bittet, darf man sie ihm nicht geben. Denn dann ist er ihrer nicht würdig! Warum begreifst du das nicht?! Wenn mich ein Mann um etwas bittet, wenn er bettelt darum - dann ist er für mich gestorben.

ZEMLINSKY   Und? Bin ich jetzt tot?

ALMA   Du tust wirklich alles, um mir die Sache zu erleichtern.

ZEMLINSKY   Die «Sache»?!... Welche «Sache» denn? Was mußt du dir denn erleichtern?!!

ALMA   Ich bin in einer verzweifelten Lage.

ZEMLINSKY   Wer ist es denn?

ALMA   Alex, bitte....

ZEMLINSKY   Wer ist es? Sag mir seinen Namen. Ich möchte wenigstens seinen Namen wissen.

ALMA   Es ist dein Name.

ZEMLINSKY   Mein Name? Wieso? Noch ein Alex?!

ALMA   Nein, du Idiot! Ich mache doch nur Experimente.

ZEMLINSKY   Ich weiß.

ALMA   Aber nein, ich experimentiere mit mir selbst: Ich flüstre: «Geliebter!»... und immer kommt mir dann Dein Name zuerst in den Sinn.

ZEMLINSKY   Und danach? Wer kommt danach? Hmm?! Ich kann ihn ja förmlich riechen an dir! Was hat er denn, das ich nicht habe? Ist er jünger? Schöner? Reicher?

ALMA   Nein.

ZEMLINSKY   Wer dann? Ich seh' doch, was dir durch den Kopf schießt, wenn du mich anschaust. Mir wirst du nichts erzählen, du kleine, geile Sau. Du willst glänzen wie ein Stern! In der allerersten Reihe. Der schönste, hellste Stern am Firmament. Der Abendstern. Und dafür brauchst du Geld und Ruhm und Ansehen. Und einen Mann zum «Vorzeigen»! Das kann ich dir doch alles auch bieten. Oder? - Warum lachst du jetzt?

ALMA   Einen Mann zum «Vorzeigen»! Hast du eine Ahnung!

ZEMLINSKY   Nicht zum Vorzeigen? Dann muß er aber sehr reich sein.

ALMA   Er ist auch nicht reich.

ZEMLINSKY   Berühmt?

ALMA   Alex, hör auf. Du machst alles nur noch schlimmer.

ZEMLINSKY   Ist er Berühmt? Weltberühmt?

ALMA   Noch nicht.

ZEMLINSKY   Ahhh!! - Wer ist es?!!!

ALMA   Es ist (spricht absichtlich undeutlich:) Gstmul....

ZEMLINSKY   Wie bitte?!...

ALMA   (wieder undeutlich:) Gstmul....

ZEMLINSKY   Hör auf mit dem Unsinn. Sag mir den Namen!

ALMA   Ich habe ihn dir gesagt. Jetzt laß mich zufrieden!

ZEMLINSKY   Mach mich nicht wahnsinnig! (imitiert sie:) Gstmul.... Wer soll denn das sein? - Buchstabiere mir den Namen.

ALMA   Alex! Hör auf. Du gehst mir auf die Nerven. Quäl mich nicht.

ZEMLINSKY   «Quäl mich nicht»??! Du quälst doch mich! Bis aufs Blut. Wer ist der Mann? Ich möchte wissen, wer es ist, verdammt nochmal!!!!!

RESERL   Pssst!! - Es ist Gustav Mahler!....

ZEMLINSKY   Oh bitte nicht! Bitte nicht. Alma! ... Der? (Alma nickt.) Das kann doch nicht dein Ernst sein? Gustav M a h l e r? Das hässliche Entlein?

ALMA   Na du hast es notwendig!

ZEMLINSKY   Oh mein Gott!!! - Er könnte dein Großvater sein!

ALMA   Du bist geschmacklos.

ZEMLINSKY   Na, aber zumindest dein Vater.

ALMA   Er ist zweiundvierzig. Na und?

ZEMLINSKY   Na und? Das ist zweimal dein Leben!

ALMA   Er liebt mich.

ZEMLINSKY   Er liebt dich? Dieser verschrumpelte, hämorrhoide Affe? Diese hysterische Sprotte? Todkrank, verschuldet und impotent?? Frisst nur Vollkornbrot und Obst! Und genauso komponiert er auch!

ALMA   Er ist vielleicht kein Beethoven, aber er hat Talent.

ZEMLINSKY   Kein Beethoven?!... Sag mal, spinnst du?!

ALMA   Wieso?! Seine Lieder...

ZEMLINSKY   Seine Lieder? Woher kennst du die?

ALMA   Er hat sie mir geschickt.

ZEMLINSKY   Ach sieh mal einer an, so weit seid ihr schon?! Seine Diätmusik. Mit dem unwiderstehlichen Charme von Apfelkompott! Verfehlt seine Wirkung nie - als Abführmittel! Pfffftt.... Verschon mich damit!

ALMA   Jetzt reg dich wieder ab, ja! Ich sage ja nicht, daß ich restlos begeistert bin. Aber einige seiner Lieder...

ZEMLINSKY   Alma, du bist doch intelligent, du hast ein feines musikalisches Gehör, du mußt doch wissen, wovon du redest! Du hast mit deinen zweiundzwanzig Jahren schon bessere Musik komponiert als Gustav Mahler in zweihundert Jahren zusammenschmieren wird. Jedes einzelne deiner Lieder ist schöner als alle seine endlosen, aufgeblasenen Symphonien zusammen genommen!

ALMA   Es ist auch nicht seine Musik! Seine Musik berührt mich nicht im geringsten, verstehst du? Sie sagt mir nicht so viel! (schnippt mit dem Finger) Aber er! Er! Er ist es, der mich fasziniert. Nur er. Sonst gar nichts. Es ist... Ich weiß nicht, wie ich sagen soll...

ZEMLINSKY   Ja, ja, ja, natürlich! Das «gewisse Etwas»! Das Unaussprechliche, das «je ne sais quoi»! Und seine Stellung als Hofoperndirektor! Mach dir doch nichts vor, Alma. Du Äffchen! Du willst doch nur am Leierkasten sitzen, schön herausgeputzt, mit einem roten Käppchen, eine Schale Geld in der Hand und der Herr Direktor dreht die Kurbel! Und ganz Wien tanzt dazu! Aber nicht mit mir! Nicht mit mir! (Er umarmt Alma, um sie zu küssen.) Alma.... Alma!.... Komm her, komm her zu mir!

ALMA   Hör auf! Hör auf, Alex! Laß mich... Rühr mich nicht an...! Du sollst mich nicht... Geh weg!! Geh ... weg!!! (Spuckt aus) Wäähhh! (Pause) Wäre ich ihm doch nur drei Jahre früher begegnet, dann wäre mein Mund jetzt nicht entweiht!

ZEMLINSKY   Ahhhh... Jetzt erkenne ich dich, Alma. Endlich. Habe lange warten müssen. Deine grenzenlose Eitelkeit, deine Vergnügungssucht, deine lächerlichen Hirngespinste! Du bist tot! Du bist verloren...!

ALMA   Ganz im Gegenteil, mein Lieber. Du kannst deine Ratschläge in Zukunft für dich behalten. Ich werde sie nicht brauchen. Ich werde diesen Mann lieben. Bis an mein Lebensende! Ich werde leben für ihn, ich werde für ihn sorgen. Und ich werde komponieren, ich werde sogar dirigieren! Dieser Mann ist reiner Sauerstoff für mich! Man verbrennt, wenn man ihm zu nahe kommt!!

ZEMLINSKY   Und ich? Was war dann ich?

ALMA   Schwefel. Brennt auch, stinkt aber mehr.

ZEMLINSKY   Na schön, dann geh! Fick dich hoch zu Macht und Glorie!! Dazu bist du geboren!

ALMA   Das kannst du Gott sei Dank nicht beurteilen.

ZEMLINSKY   Adieu ma vie, adieu mon coeur, adieu mon esperance! - Ich brauche jetzt Betäubung. Ich brauche Alkohol. Alkohol! Und Gesellschaft. Damit ich diese Trüffel mit den Schweinen teilen kann. Wenn du deines jüdischen Ziegenbocks überdrüssig wirst, kannst du uns ja besuchen. Du wirst uns immer willkommen sein!