Alma und die Musik
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MAHLER: 5. Symphonie (Liebesbrief
an Alma)
Das "Adagietto" in Mahlers 5. Symphonie ist eine
musikalische Huldigung an Alma. In der Partitur, die er seinem
Freund, dem Dirigenten Willem Mengelberg, gegeben hatte, kann
man einen Eintrag des Besitzers lesen: "Dieses Adagietto
war eine Liebeserklärung an Alma! Statt eines Briefes
sandte er ihr dieses im Manuskript: weiter kein Wort dazu.
Sie hat es verstanden und schrieb ihm, er solle kommen!!!
Beide haben mir dies erzählt. WM". Ausserdem wurde
das Adagietto als Leitmotiv zu Viscontis TOD IN VENEDIG
weltberühmt.
Den Trauermarsch der 5. Symphonie gibt's es, von Mahler selbst
auf einem mechanischen Welte-Klavier gespielt - Piano Rolls
(Originalaufnahmen)
MAHLER: 6. Symphonie (Das "Alma-Thema")
Gustav Mahlers Sechste Sinfonie in a-Moll von 1904 ist eines
seiner finstersten und gewaltvollsten Werke. Lange wurde sie
selbst von Mahler-Verfechtern als "zu negativ" abgelehnt,
heute gibt es über sechzig Einspielungen davon. Die Arbeit
nahm Mahler im Sommer 1903 in Maiernigg am Wörthersee
auf, wo er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Maria
Anna die Ferien verbrachte. Alma berichtet, dass er sich damals
in guter Verfassung befand: »Er spielte viel mit dem
Kind, das er herumschleppte, in den Arm nahm, um mit ihm zu
tanzen und zu singen. So jung war er damals und unbeschwert.«
Alma brachte am 15. Juli ihre zweite Tochter Anna Justina
zur Welt und reiste zu ihrem Mann. »Der Sommer war schön,
konfliktlos, glücklich«, berichtet sie in ihren
Memoiren. Mahler vollendete die Sechste und fügte den
bereits bestehenden zwei Kindertotenliedern drei weitere hinzu.
Am Ende der Ferien spielte er seiner Frau die Symphonie vor.
»Wir gingen wieder Arm in Arm in sein Waldhäuschen
hinauf, wo wir mitten im Walde ohne Störung waren. All
das geschah immer mit einer großen Feierlichkeit.«
Direkt im Anschluss an diesen Bericht machte Alma die folgenden
Angaben: »Nachdem er den ersten Satz entworfen hatte,
war Mahler aus dem Walde herunter gekommen und hatte gesagt:
Ich habe versucht, dich in einem Thema festzuhalten
- ob es mir gelungen ist, weiß ich nicht. Du mußt
dirs schon gefallen lassen. Es ist das große,
schwungvolle Thema des I. Satzes. Im dritten Satz [das Scherzo]
schildert er das arhythmische Spielen der beiden kleinen Kinder,
die torkelnd durch den Sand laufen. Schauerlich - diese Kinderstimmen
werden immer tragischer, und zum Schluß wimmert ein
verlöschendes Stimmchen. Im letzten Satz beschreibt er
sich und seinen Untergang oder wie er später sagte, den
seines Helden. Der Held, der drei Schicksalsschläge
bekommt, von denen ihn der dritte fällt, wie einen Baum.
Dies Mahlers Worte. Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem
Herzen geflossen wie dieses. Wir weinten damals beide. So
tief fühlten wir diese Musik und was sie vorahnend verriet.
Die Sechste ist sein allerpersönlichstes Werk und ein
prophetisches obendrein. Er hat sowohl mit den Kindertotenliedern
wie auch mit der Sechsten sein Leben anticipando musiziert.
Auch er bekam drei Schicksalsschläge, und der dritte
fällte ihn. Damals aber war er heiter, seines großen
Werkes bewußt und seine Zweige grünten und blühten.«
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Mahler nach
der Generalprobe zur Uraufführung im Mai 1906 in Essen
ganz erschüttert war. Er schluchzte, rang sich die Hände,
war seiner nicht mächtig. Kein Werk - so Alma - sei ihm
beim ersten Hören so nahe gegangen. Im Konzert soll er
die Symphonie »fast schlecht« dirigiert haben,
»weil er sich seiner Erregung schämte und Angst
hatte, daß die Empfindung während des Dirigierens
aus ihren Grenzen brechen könnte. Die Wahrheit dieses
schrecklichsten letzten Antizipando-Satzes wollte er nicht
ahnen lassen!« Es scheint, als habe Mahler tatsächlich
die tragischen Ereignisse geahnt, die das Jahr 1907 ihm und
seiner Familie bringen sollte: den Tod seiner älteren
Tochter, die Demission von der Wiener Hofoper und vor allem
die Diagnostizierung seines Herzleidens.
MAHLER: 8. Symphonie (Alma gewidmet)
Die achte Symphonie, die Gustav Mahler seiner Frau Alma gewidmet
hat, die Symphonie mit der gewaltigsten Besetzung (drei Chöre,
Kinderchor, Vokalsolisten, erweitertes Orchester), die ihr
auch den Beinamen »Symphonie der Tausend« eingetragen
hat endet mit dem Faust-Chorus: »Alles Vergängliche
ist nur ein Gleichnis; Das Unzulängliche, hier wird's
Ereignis: Das Unbeschreibliche, hier ist's getan: Das Ewig-Weibliche
zieht uns hinan.»
Die überwältigend erfolgreiche Uraufführung
am 12. September 1910 in München bildete den krönenden
künstlerischen Abschluss in Mahlers Leben. Es war das
letzte seiner Werke, das Mahler selbst vom Konzertpodium aus
der Welt vorstellte. Als er acht Monate später, am 18.
Mai 1911 starb, hinterliess er zwei unveröffentlichte
Partituren: "Das Lied von der Erde" und die 9. Sinfonie,
aber auch ein Manuskript mit dem Entwurf zu einer zehnten.
Über den Entwurf der Zehnten kursierten zunächst
nur widersprüchliche Gerüchte, und es liegt die
Vermutung nahe, dass keiner von denen, die sich über
die Zehnte äusserten, Gelegenheit hatte, das Manuskript
einer näheren Prüfung zu unterziehen. Alma Mahler
hielt den Entwurf der Zehnten unter Verschluss, und so wurde
ihm vorerst keine weitere Beachtung geschenkt.
Im Stück Alma ist die Achte
Oskar Kokoschka, Almas wildestem und verzweifeltsten Liebhaber,
zugeordnet. Das »Veni Creator spiritus« (»Komm,
Schöpfer Geist!») taucht verschiedentlich als Vorbote
der Alma-Puppe auf, Kokoschkas Verwundung und ihre Ankunft
wird durch die strahlende Chorpassage begleitet.
MAHLER: 10. Symphonie (Almas Untreue)
Das Geheimnis der letzten Sinfonie Mahlers hat
die Menschen von jeher gefesselt. Es sieht so aus,
vermutete Arnold Schönberg, als ob uns in der ,Zehnten'
etwas gesagt werden könnte, was wir noch nicht wissen
sollen. Er huldigte damit der Aura jener ominösen
Zahl, an der so viele bedeutende Sinfoniker, darunter Beethoven
und Bruckner, gescheitert waren. Auch Mahler gelang es nicht,
eine 10. Sinfonie zu vollenden. Sein letztes Werk teilt mit
Schuberts Unvollendeter den Charakter des Fragments;
mit Bruckners Neunter und dem Requiem von Mozart
verbindet diese Zehnte zugleich das Los, dass
der Tod des Komponisten die Vollendung buchstäblich vereitelt
hat.
Die Manuskripte zur Zehnten entstehen zwischen
dem 3. Juli und dem 3. September 1910. Diese Wochen verbringt
Mahler in seinem Südtiroler Feriendomizil bei Toblach;
In diesem Sommer wird die kompositorische Besinnung durch
Ereignisse von tief greifender, existentieller Bedeutung gestört:
Durch ein Versehen (oder gezielte Indiskretion) erfährt
Mahler von der Affäre, die seine Frau Alma seit Anfang
Juni mit dem Architekten Walter Gropius unterhält. Die
Enthüllung vernichtet für ihn jäh alle familiäre
Sicherheit. Verlustängste quälen ihn fortan - und
dies, wie man heute weiß, keineswegs ohne Grund: Denn
trotz einer Aussprache mit Gropius verfolgt Alma die intime
Beziehung heimlich weiter. Um der unmittelbaren psychischen
Folgen der Ehekrise Herr zu werden, reist Mahler Ende August
ins holländische Leiden und sucht in einem therapeutischen
Gespräch Rat bei Sigmund Freud. Die Konsultation dauerte
höchsten vier Stunden und hatte trotzdem durchschlagenden
Erfolg. In einem Brief an seine Schülerin Marie Bonaparte
äußert sich Freud zu seiner Diagnose: «Mahlers
Frau Alma liebte ihren Vater Rudolf Schindler und konnte nur
diesen Typus suchen und lieben. Mahlers Alter, das er so fürchtete,
war gerade das, was ihn seiner Frau so anziehend machte. Mahler
liebte seine Mutter und hat in jeder Frau deren Typus gesucht.
Seine Mutter war vergrämt und leidend, und dies wollte
er unterbewußt auch von seiner Frau Alma.» Mit
dieser Analyse gab Freud eine Art versteckte Lizenz zum Inzest
und bescherte den beiden dadurch letzte gemeinsam glückliche
Monate. Alma war allerdings empört, als Freud ihr kurz
nach Mahlers Tod im Mai 1911 ungeniert die Rechnung für
diese kurze analytische Sitzung in Leiden zusandte.
Mit einem Bekenntnis beginnt Almas Vorwort zur ersten Faksimile-Ausgabe
der 10. Symphonie von 1924: "...Habe ich es erst für
mein teures Recht gehalten, den Schatz der zehnten Sinfonie
im Verborgenen zu wahren, so weiss ich es nunmehr als meine
Pflicht, der Welt die letzten Gedanken des Meisters zu erschliessen.
Die einzig richtige Form der Veröffentlichung der zehnten
Symphonie konnte nur die Faksimilierung sein. Sie verkündet
nicht nur die letzte Musik des Meisters, sie zeigt in den
erregten Zügen der Handschrift das rätselhafte Selbstbildnis
des Menschen und zeugt für ihn fort. Manche werden in
diesen Blättern wie in einem Zauberbuch lesen, andere
wieder werden vor magischen Zeichen stehen, zu denen ihnen
der Schlüssel fehlt, keiner wird sich der Macht entziehen,
die von diesen Notenzügen und hingeschleuderten Wortekstasen
weiterwirkt". (Mahler hatte sein Entsetzen und seine
Verzweiflung über die Ehekrise handschriftlich mit folgenden
Wortfetzen auf die Partitur geschrieben: Erbarmen!
oh, Gott! Oh, Gott! Warum hast du mich verlassen? - Der Teufel
tanzt mit mir... Wahnsinn, faß mich an, Verfluchten!
Vernichte mich... daß ich vergesse, daß ich bin!
Daß ich aufhöre, zu sein... daß ich verschw
- Du allein weißt, was es bedeutet. Ach! Ach! Ach! Leb'
wol mein Seitenspiel! Leb wol... Leb wol... Leb wol... Ach
wol... Ach, ach. Für dich leben! Für dich sterben!
Almschi!)
Diese erste Faksimile-Ausgabe blieb nicht die einzige Bemühung
Almas im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Zehnten.
1924 konsultierte sie den Komponisten Ernst Krenek (ihren
Schwiedersohn) hinsichtlich einer möglichen Vervollständigung
des Manuskripts. Er sagte zu" beschränkte sich aber
darauf, eine Reinschrift des Adagios (l. Satz) und eine aufführbare
Partitur des "Purgatorio" (3. Satz) anzufertigen.
Als gewiefte Geschäftsfrau habe sie die Idee gehabt,
erinnert sich Ernst Krenek, Mahlers neun Symphonien
eine zehnte hinzuzufügen, denn es schien ein einfaches
Rechenexempel zu sein, dass zehn Symphonien in den Konzertprogrammen
mehr bringen würden als neun. Er entschied aber,
dass er nur die Teile Adagio und Purgatorio
edieren könne, die restlichen drei Sätze jedoch
nicht anrühren würde: Es hätte der schamlosen
Kühnheit eines unsäglichen Barbaren bedurft, um
den Versuch zu wagen, dieses leidenschaftliche Gekritzel eines
sterbenden Genies zu orchestrieren. Alma war zutiefst enttäuscht
und verstimmt, als ich ihr diesen Stand der Dinge erklärte.
Ich freue mich, dass ich hart blieb und nicht einmal im Traum
daran dachte, bei einer abscheulichen Betrügerei behilflich
zu sein. Auch Arnold Schönberg lehnte einen Versuch
zur Vervollständigung ab, Alban Berg war 1924 zwar bereit
dazu, traute sich aber wegen Schönbergs ablehnender Haltung
nicht, und Webern und Schostakowitsch zeigten kein Interesse
an einer solchen Arbeit.
Wie es zu dem Sinneswandel bei Alma Mahler kam, erläutert
Richard Specht: "Ich habe unwissentlich ein Unheil angerichtet
und muss es gutmachen. In meinem Buch über Gustav Mahler
habe ich über seine zehnte Sinfonie berichtet und gesagt,
es sei des Meisters Wille gewesen, dass dieses Werk nach seinem
Hinscheiden verbrannt werden soll... Erst viel später
erfuhr ich - und Frau Mahler bestätigte es mir - dass
sein Wunsch... nicht ihr gegenüber, sondern zu seinem
New Yorker Freund und Arzt Dr. Josef Fränkel geäussert
worden war, ja dass er zu seiner Frau in den letzten Wochen
seines Lebens in ganz anderem Sinn, manchmal voll Hoffnung
auf ein Vollendenkönnen des Werkes, manchmal als von
einer in der Skizze ganz fertig gestellten Arbeit gesprochen
habe, mit der sie nach Gutdünken schaffen solle... Als
ich den wahren Sachverhalt erfuhr, war ich der erste, der
Frau Mahler beschwor, das Manuskript wieder hervorzuholen...
Sie holte den Entwurf der fünfsätzigen Sinfonie...
und wir entdeckten ... zu unserer grossen Überraschung,
dass zwei Sätze. des Werkes... so vollkommen fertig und
bis auf jedes Instrument aufgezeichnet waren, dass man sie,
ohne eine Note zu ändern, einfach aus der Skizze in Partiturform
bringen konnte.
MAHLER: "Liebst Du um Schönheit"
(Lied, Privatissimum an Alma)
Alma litt im Sommer 1902 unter heftigen Gefühlsschwankungen,
die sie sich selbst nicht erklären konnte. Jetzt
vergehe ich vor Liebe zu ihm - und im nächsten Moment
empfinde ich nichts, nichts! Ihre Zustände, zwischen
depressiven Stimmungen und moralischen Selbstbezichtigungen
hin- und herschwankend, stehen im Kontrast zum Klischee der
glücklichen, noch dazu in guter Hoffnung befindlichen
Ehefrau an der Seite eines faszinierenden Künstlers.
Und immer diese Tränen, seufzte sie in ihrem
Tagebuch. Noch nie habe ich so viel geweint, als jetzt, wo
ich doch alles habe, wonach ein Weib nur streben kann. Auch
Mahler hatte gemerkt, dass mit seiner Frau etwas nicht stimmte.
Er reagierte auf seine Art, indem er für Alma ein Lied
komponierte. Als ein Privatissimum an Dich bezeichnete
er seine Vertonung des Rückert-Gedichtes Liebst
Du um Schönheit. Alma freute sich zwar über
dieses Geschenk; die grundsätzliche Problematik, die
sich auch aus Almas Unzufriedenheit mit sich selbst ergab,
wurde dadurch aber nicht gelöst. Oft fühle ich,
wie wenig ich bin und habe im Vergleich zu seinem unermesslichen
Reichtum!
MAHLER: "Ich bin der Welt abhanden
gekommen" (Liebeslied)
MAHLER: "Die zwei blauen Augen"
(Liebeslied an Alma)
URI CAINE: Primal Light - Urlicht
(Jüdische Wurzeln in Mahlers Musik)
Vom amerikanischen Jazz-Komponisten Uri Caine gibt es Transkriptionen
von Mahlers Musik, Primal light - Urlicht aus
der 2. Symphonie, in denen er die europäischen Elemente
heraus filtert und die jüdischen Elemente in Mahlers
Musik in den Vordergrund stellt.
ALMA: Lieder (Almas eigene Kompositionen)
Alma hatte schon früh auf dem Klavier gespielt, auf dem
Notenständer lagen häufig Klavierauszüge der
Opern Richard Wagners. Da Alma ausgezeichnet vom Blatt spielen
konnte, erarbeitete sich ein bemerkenswertes Repertoire. Doch
mit dem virtuosen Spiel wollte sie sich nicht zufrieden geben.
Und so wurde der Wiener Organist Josef Labor erster Kompositionslehrer
der Sechzehnjährigen. Labor war ein älterer Herr,
mehr väterlicher Freund als fordernder Lehrer und kaum
in der Lage, ihr Talent in geordnete Bahnen zu lenken. Überdies
war er blind. Alma spielte ihm Dutzende von selbst komponierten
Liedern und Klavierstücken vor, ihr Komponieren war eine
Art Selbstausdruck, etwas Intimes, dem Tagebuchschreiben Ähnliches.
Ich möchte eine große That
thun, schreibt sie in ihrem Tagebuch, möchte eine wirklich
gute Oper componieren, was bei Frauen wohl noch nie der Fall
war. Ja, das möchte ich. Mit einem Wort, ich möchte
etwas sein und werden, und das ist unmöglich - &
Warum? Mir fehlte die Begabung nicht, mir fehlt nur - der
Ernst.
Alma Schindler studierte seit 1897 bei Alexander Zemlinsky
Komposition. Sie hat Lieder, Instrumentalstücke, auch
den Beginn einer Oper komponiert. Früh versuchte sie
sich in Kompositionen zu Gedichten von Rilke, Novalis, Heine
u. a.
1910: Die stille Stadt, In meines Vaters Garten, Laue Sommernacht,
Bei dir ist es so traut, Ich wandle unter Blumen
1915: Liebt in der Nacht, Waldseligkeit, Ansturm, Erntelied
1924: Hymne, Ekstase, Der Erkennende, Lobgesang, Hymne an
die Nacht
Gustav Mahler und Alma Schindler waren sich erstmals im November
1901 begegnet. Schon kurz darauf machte der Komponist einen
Heiratsantrag, den Alma akzeptierte. Jedoch kreisen ihre Gedanken
in diesen Tagen um ein Problem - ihre größte Sorge
war, ob Mahler mich zur Arbeit animieren
wird, ob er meine Kunst unterstützen wird, ob er sie
so lieben wird, wie Alex. - Wenn wir soweit kommen, und ich
werde die Seine, so muss ich schon jetzt mich gehörig
rühren, um mir den Platz zu sichern, der mir gebührt
nämlich künstlerisch. Er hält von meiner Kunst
gar nichts - von seiner viel - und ich halte von seiner Kunst
gar nichts und von meiner viel. So ist es! Nun spricht er
fortwährend von dem Behüten seiner Kunst. Das kann
ich nicht. Bei Zemlinsky wärs gegangen, denn dessen Kunst
empfinde ich mit - das ist ein genialer Kerl. Aber der Gustav
ist ja so arm - so furchtbar arm. Wenn er wüsste, wie
arm er ist - er würde die Hände vor die Augen geben
und sich schämen.
Dies macht deutlich, dass Alma nicht daran dachte, ihr Komponieren
aufzugeben. Als sie jedoch einen langen Brief aus Dresden
erhielt, wurde ihr schlagartig bewusst, dass der Kampf aussichtslos
war. Mahler setzte ihr auf zwanzig Seiten mit radikaler Offenheit
auseinander, wie er sich ein gemeinsames Leben vorstellte.
Alma sei zu jung und unreif, um schon eine echte Persönlichkeit
zu besitzen. Sie umgebe sich mit falschen Freunden, die ihr
das trügerische Gefühl vermittelten, eine ausgereifte
Persönlichkeit zu sein. Alma und ihre Anhänger hätten
sich mit Phrasen berauscht weil
Du schön bist, und anziehend für Männer, die
dann, ohne es zu wissen, der Anmut unwillkürlich Huldigung
leisten. Und sie sei eitel auf das geworden, was
diese Leute an Dir zu sehen vermeinen. - Wie stellst Du Dir
so ein komponierendes Ehepaar vor? Hast Du eine Ahnung wie
lächerlich und herabziehend so ein eigentümliches
Rivalitätsverhältnis werden muß? Daß
Du so werden mußt, wie ich es brauche, wenn wir glücklich
werden sollen, mein Eheweib und nicht mein College - das ist
sicher! Künde mir erbarmungslos alles, was Du mir zu
sagen hast und wisse - viel lieber jetzt noch eine Trennung
zwischen uns, als einen Selbstirrtum weitergeführt. Denn,
wie ich mich kenne, würde es schließlich für
uns Beide zu einer Katastrophe.
Wie Alma auf diesen berühmt gewordenen Brief reagierte
ist nicht überliefert. In ihren Tagebuchsuiten
hallt der Verlust ihrer Musik nach.
Mir blieb das Herz stehen. Meine Musik hergeben - weggeben
- das, wofür ich bis jetzt gelebt. Ich habe das Gefühl,
als hätte man mir mit kalter Faust das Herz aus der Brust
genommen. Ich musste weinen - denn da begriff ich, dass ich
ihn liebe.
Errst nach Almas Affäre mit Walter Gropius nahm sich
Mahler 1910 mit schlechtem Gewissen plötzlich ihrer Jugendkompositionen
an und schlug sogar eine gemeinsame Überarbeitung vor.
Noch im selben Jahr ließ er fünf Lieder drucken
und in Wien und New York aufführen.
ALEXANDER ZEMLINSKY (Kompositionslehrer
& Almas Geliebter)
Im Frühjahr 1900 traf die zwanzigjährige Alma auf
Alexander von Zemlinsky. Der 29-jährige Komponist galt
als eine der großen Hoffnungen der Wiener Musikszene.
Als Alma ihn zum ersten Mal in einem Sinfoniekonzert sah -
Zemlinsky dirigierte sein Werk Frühlingsbegräbnis
- notierte sie erschrocken in ihr Tagebuch: Eine
Carricatur - kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen und
einem zu verrückten Dirigieren. Gut zwei Wochen
später lernte sie den Komponisten auf einer Soiree persönlich
kennen und fand ihn immer noch furchtbar
hässlich, hat fast kein Kinn - und doch gefiel er mir
ausnehmend. Alma und Zemlinsky unterhielten sich an
diesem Abend lange über Richard Wagner, insbesondere
über den Tristan. Als Alma ihm eröffnete,
dieses Werk sei ihre Lieblingsoper, war Zemlinsky so
erfreut, dass er nicht wiederzuerkennen war. Er wurde ordentlich
hübsch. Jetzt verstanden wir uns. Er gefällt mir
sehr - sehr. Alma hatte fortan nur noch einen Wunsch:
Ich möchte beim Zemlinsky lernen.
Wenn Mama's nur erlaubt. Auch Zemlinsky fand an dieser
Vorstellung Gefallen und versprach schließlich, Alma
im Winter in seinen Schülerkreis aufzunehmen. Bis dahin
sollte sie ihm einige ihrer Kompositionen überlassen,
damit er sich ein genaueres Bild von ihrem derzeitigen Wissensstand
machen könne. Was er dann vorgelegt bekam, war allerdings
für ihn eine herbe Enttäuschung. Es sind in
den drei Liedern so unerhört viele Fehler, schrieb
er an Alma, dass mir der Kopf brummte. Alexander
von Zemlinsky war ein strenger Lehrer mit einem unbestechlichen
Blick. Er kritisierte die Einfälle seiner Schülerin
und machte Alma unmissverständlich klar, dass ihre Oberflächlichkeit
einem Erfolg als Komponistin im Wege stand. Entweder
Sie componieren, hielt er ihr einmal entgegen, oder
Sie gehen in Gesellschaften - eines von beiden. Wählen
Sie aber lieber das, was Ihnen näher liegt - gehen Sie
in Gesellschaften.
Zwischen der attraktiven und parkettsicheren Alma und dem
zurückhaltenden Zemlinsky entwickelte sich bald ein intensives
Verhältnis. Unter seiner Führung komponierte das
musikalisch begabte Fräulein eine Reihe von Liedern nach
Gedichten von Rilke, Heine, Werfel u. a. Zemlinsky war ein
unvergleichlicher Pädagoge, er war der Lehrer Arnold
Schönbergs, mit dem er auch in Freundschaft verbunden
war. Nachdem Gustav Klimt Alma in Venedig den ersten Kuß
geraubt hatte, trat Zemlinsky in Almas Herzen dessen Nachfolge
an, ab Herbst 1900 ging es um mehr als um den Unterricht.
Zemlinsky und Alma Schindler begannen eine ebenso heftige
wie problematische Liebesbeziehung, Sie ließ sich von
ihm küssen, streicheln, erlaubte ihm jede Intimität
bis auf die letzte und raubte ihm damit fast den Verstand.
Er seinerseits verstand es, Almas erwachende Sexualität
mit einer Leidenschaftlichkeit zu erwecken, die sie seine
«Virtuosenhände» nie vergessen ließ.
Die Beziehung war ein Wechselbad der Gefühle, Alma quälte
Zemlinsky zwei Jahre lang, bis sie sich 1902 gegen ihn und
für eine Ehe mit dem um zwanzig Jahre älteren Gustav
Mahler entschied. Almas Tagebücher und Zemlinskys Briefe
dokumentieren die Leidenschaft dieser Beziehung (Zemlinsky:
Ich will dich - mit jedem Atom meines Fühlens.)
- und warum das ungleiche Paar nicht zusammenkommen konnte.
Alma bewunderte die Musik und den Geist Zemlinskys und erlag
seiner großen erotischen Ausstrahlung, konnte sich jedoch
nie mit seinem Äußeren und seiner Herkunft aus
kleinen Verhältnissen identifizieren - schon
gar nicht in der für sie so wichtigen Öffentlichkeit
und gegenüber ihren Eltern, die Zemlinsky von Anfang
an nicht akzeptierten. Zemlinsky seinerseits liebte Alma abgöttisch,
war aber angewidert von der Eitelkeit der Salons und von den
von Cliquentum verkalkten Seelen (Zemlinsky),
mit denen sie verkehrte. Er erträumte sich ein
kleines gedämpftes Zimmerchen, recht behaglich,
in dem er mit Alma nach der Arbeit zusammen sein
wollte - ein Bild, in das eine der seinerzeit begehrtesten
Frauen Wiens so gar nicht passte.
Zemlinsky hatte bald genug von Alma: Endlich empört
sich ein wenig mein Stolz, schrieb er ihr Ende Mai 1901:
Meine Liebe, Du betonst so oft, so oft Du nur kannst,
wie lächerlich wenig ich bin und habe, wie viel mich
ungeeignet macht, Dir zu gehören! Hast Du so viel zu
geben, so unendlich viel, dass andere Bettler dagegen sind?!
Liebe gegen Liebe, sonst kenne ich nichts. Du bist sehr schön,
und ich weiß, wie sehr ich diese Schönheit schätze.
Und später? In 20 Jahren???
Nach Almas Heirat mit Mahler brach der Kontakt zwischen beiden
zunächst ab; nach 1903 kam es aber wieder zu regelmäßigen
Briefwechseln und Begegnungen. Auch viele Jahre nach ihrer
Liebesbeziehung löste die Begegnung mit Alma Mahler besondere
Gefühle in ihm aus. Als sich Alma 1917 negativ über
Zemlinskys Oper Eine florentinische Tragödie
äußerte, reagierte er mit einem seiner rhetorisch
brillantesten Briefe voller Schärfe und Emotion.
Viele Werke Zemlinskys sind entweder Alma gewidmet oder spiegeln
das Verhältnis der schönen, unerreichbaren Frau
und des hässlichen Gnoms wieder. (Der
Geburtstag der Infantin)
WAGNER: Isoldes Liebestod
(Almas Lieblingskomponist / Begegnung mit Kokoschka)
Ich liebe jemanden, so heiß, so innig ward vielleicht
kein Mensch noch geliebt, es ist Richard Wagner. Er ist mir
der liebste Mensch auf Erden - ich kanns beschwören.
(Alma in ihren Jugendtagebüchern, 6. Juni 1898)
Alma und ihr Komposditionslehrer Alexander von Zemlinsky,
den Alma furchtbar hässlich
fand, kinnlos, klein, mit herausquellenden
Augen, unterhielten sich an einem Abend lange über Richard
Wagner, insbesondere über den Tristan. Als
Alma ihm eröffnete, dieses Werk sei ihre Lieblingsoper,
war Zemlinsky so erfreut, dass er nicht wiederzuerkennen war.
Er wurde ordentlich hübsch. Jetzt verstanden wir uns.
(Oskar Kokoschka in seinen Erinnerungen:) Wie schön
sie war hinter ihrem Trauerschleier! Ich war verzaubert von
ihr! Nach dem Abendessen hat sich mich beim Arm genommen und
mich ins Nebenzimmer gezogen, wo sie sich hinsetzte und mir
den Liebestod' vorspielte. (Alma:) Wir standen
auf - und er umarmte mich plötzlich stürmisch. Diese
Art der Umarmung war mir fremd... Ich erwiderte sie in keiner
Weise, und gerade das schien auf ihn gewirkt zu haben. Er
stürmte davon, und in einer Stunde hatte ich den schönsten
Liebes- und Werbebrief in Händen.
STRAWINSKY: Le Sacre du Printemps
(Parallele zu Kokoschkas Malerei)
Der Komponist Alfredo Casella spielte Alma 1912 in Paris Strawinskys
brandneues «Le Sacre du Printemps« vor, von dem
sie daraufhin sagte, es beinhalte »die gefährlichsten
Ideen seit Mahler«. Zitat Alma: »Das waren neue
Länder der Musik und nach Debussy das erste, was einem
wieder Glücksmomente zaubern konnte.«
Nicht nur, daß Kokoschka mit Alma gemeinsam die »sich
kreischende Animalität ergießender Klänge«
erlebte, sie brachte die frühe Musik des Russen auch
in Zusammenhang mit Kokoschkas Kunstauffassung und »Virtuosität
der Erotik«. Kokoschkas »Windsbraut« und
Strawinskys »Sacre« - das kam für sie aus
einer Quelle. Werfel kreidete ihre Leidenschaft sowohl für
Kokoschka als auch für Strawinsky später als »Perversion
im fortgeschrittenen Stadium« an.
ERNST KRENEK: Oper nach Kokoschkas
Orpheus & Eurydike
ORPHEUS UND EURIDIKE, Oper in drei Akten op. 21, Libretto
von Oskar Kokoschka. Der Oper liegt ein Drama Kokoschkas zugrunde,
zu dem Ernst Krenek 1923 »wie in einem Rausch«
die Musik schrieb. Anna Mahler, Almas Tochter, die mit Krenek
verheiratet war (seine 2. Symphonie ist ihr gewidmet), fertigte
den Klavierauszug an. Die Uraufführung fand 1926 in Kassel
statt. Das Werk wird seither ungerechtfertigter Weise selten
gespielt, die Salzburger Festspiele brachten 2005 eine konzertante
Aufführung. Thema von Kokoschkas Drama Orpheus
und Eurydike, das er 1916/17 nach seiner schweren Kriegsverwundung
an der russischen Front in der Rekonvaleszenz schrieb, ist
seine gescheiterte Liebesbeziehung zu Alma. In der Folge entstanden
zahlreiche Grafiken und Gemälde zu diesem Thema. 1921
wurde Kokoschkas Schauspiel in Frankfurt uraufgeführt,
Regisseur war Heinrich George, der auch die Rolle des Orpheus
spielte. Kokoschka saß während der Proben in der
ersten Reihe des Parketts und weinte still, aber unaufhörlich.
Albrecht Joseph, der spätere Ehemann Anna Mahlers, war
Georges Assistent und erinnert sich: Immer wenn ich
aus dem Parkett über die kleine Notbrücke auf die
Bühne steigen mußte, um etwas mit George zu besprechen,
sah ich unvermeidlich auf meinem Weg zurück Tränen
über Kokoschkas Gesicht fließen. Ich wunderte mich,
denn ich wußte nicht, daß Orpheus Kokoschka selbst
war, Eurydike Alma, Psyche ihre Tochter Anna und Pluto Mahler.
Ich ahnte nicht, daß für einige Jahre nach Mahlers
Tod Alma und Kokoschka eine leidenschaftliche, wilde Liebesbeziehung
miteinander hatten, die damit endete, daß Alma ihren
Geliebten drängte, als Freiwilliger in den Krieg auszuziehen,
obwohl er durchaus nicht zum Soldaten geschaffen war. Er kam
schwer verwundet von der Front heim, und Anna sagt, ihre Mutter
habe sich geweigert, ihn im Spital zu besuchen oder ihn später
überhaupt wiederzusehen. Er war als Soldat kein Erfolg
gewesen, und das konnte sie nicht verzeihen. Aber Kokoschka
konnte sie nicht vergessen. Es wurde erzählt, daß
er eine lebensgroße Puppe machen ließ, ein Abbild
seiner Liebesgöttin, die er mitnahm, wenn er reiste,
auch ins Bett.
BACH: Choral »O Ewigkeit,
du Donnerwort« BWV 60 (Kokoschka-Grafik)
Die Kantate besteht aus einem Dialog zwischen Furcht und Hoffnung,
den Oskar Kokoschka auf seine eigenen Erlebnisse mit Alma
übertrug. Laut Kokoschka »ein Mythos, ein Gestaltetes
Symbol, trächtig mit Begegnung, Zeugung und Entzweiung.
Ich hatte die Ahnung eines kommenden Verhängnisses.«
«Es ist genug: Herr, wenn es dir gefällt, so spanne
mich doch aus. Mein Jesus kömmt: nun gute Nacht, o Welt!
Ich fahr ins Himmelshaus, ich fahre sicher hin mit Frieden,
mein großer Jammer bleibt darnieden. Es ist genug, es
ist genug.«
ALBAN BERG: Violinkonzert (Almas
Tochter Manon Gropius gewidmet)
Am 5. Oktober 1916 brachte Alma ihrem Ehemann Walter Gropius
ein Mädchen zur Welt, das vom ersten Augenblick an alle
in seinen Bann zog. »Sein Geist, mein Körper! Unser
beider Vollendung muß einen Halbgott entstehen lassen!»
Manon bezauberte alle Besucher, «sie verbreitete Scheu
mehr noch als Schönheit um sich, eine Engels-Gazelle
vom Himmel!» (Elias Canetti). Im April 1934 klagte sie
eines Abends in Venedig über rasende Kopfschmerzen, der
Arzt wurde gerufen, innerhalb weniger Stunden war Manon gelähmt.
Kinderlähmung. Sie war siebzehn Jahre alt. Zurück
in Wien saß die bezaubernde Manon, die gerne Schauspielerin
geworden wäre, angezogen und herausgeputzt in einem Rollstuhl
und wurde in dem großen Haus auf der Hohen Warte herumgeführt.
Sie starb ganz plötzlich, am Pfingstmontag des Jahres
1935. In Erinnerung an Manon Gropius komponierte Alban Berg
sein Violinkonzert und widmete es «dem Andenken eines
Engels».
ANTON BRUCKER: Symphonie Nr. 3 (Ein
Handel mit Adolf Hitler)
«Ich hatte alte Sandalen an, schleppte eine Tasche mit
dem restlichen Geld und Schmuck und mit der Partitur der 3.
Symphonie von Bruckner.» So schildert Alma ihre Flucht
vor den Nationalsozialisten aus Südfrankreich Richtung
Lissabon, von wo sie in die USA entkam. Die Witwe Gustav Mahlers
war eine von über 15 000 deutschen Flüchtlingen,
die 1940/41 in Südfrankreich auf Ausreisepapiere hofften.
Die Tasche mit der Partitur, die aufgerollten Leinwände,
der Koffer mit Manuskripten wurde zum letzten Gut, das es
neben dem nackten Leben zu retten galt.
Gustav Mahler hatte für seinen Lehrer Anton Bruckner
einen Klavierauszug der 3. Symphonie angefertigt, wofür
der Komponist sich großzügig bedankte: Er schenkte
Mahler die Manuskripte der ersten drei Sätze. Nach Hitlers
Einmarsch in Wien entwickelten die Nationalsozialisten ein
ausgeprägtes Interesse an den im Privatbesitz befindlichen
Handschriften Bruckners. Der Führer war begeistert
von Bruckner, und die Herausgabe der Urfassungen
seiner Sinfonien, die von fremden Einflüssen gereinigt
werden sollten, galt als kulturpolitisches Ziel. In Joseph
Goebbels' Propagandaministerium wurde das Zusammentragen der
wertvollen Manuskripte koordiniert. Beschaffung der Partituren
hatte höchste Priorität, weil wir fürchten
dass mit diesem wertvollen Schatz etwas passieren könnte.
Diese Befürchtung war durchaus berechtigt, denn Alma
hatte den wertvollen Besitz ihres Mannes mit Hilfe Ihrer Kammerfrau
längst nach Frankreich schmuggeln lassen. Als die Nazis
wegen der Partitur nachfragten, konnte Almas Schwager nur
noch den Verlust melden. Aber Alma bot der Regierung zwei
Möglichkeiten an: entweder ein Ankauf dieser Manuscripte
um den Preis von ungefähr 15.000 RM [rund 52.000 Euro]
oder ein Ankauf des Hauses oder der Villa im Werte von ca.
160.000 RM Es ist unklar, wie Alma sich diesen Handel
vorstellte. Im Propagandaministerium ging Almas Angebot durch
die verschiedenen Instanzen, bis man sie aufforderte, das
Bruckner-Manuskript bei der Deutschen Botschaft in Paris zu
hinterlegen. Die Diplomaten würden, wie man versprach,
die geforderte Summe - mittlerweile verlangte sie 1500 englische
Pfund Sterling - bar auszahlen, nach heutigem Wert ungefähr
72.000 Euro. Als Alma am 3. Mai 1939 mit der Dritten Sinfonie
unter dem Arm in der Botschaft erschien, musste sie jedoch
feststellen, dass die anwesenden Beamten nichts von der getroffenen
Abmachung wussten. Unter diesen Umständen wollte sie
ihren Schatz auf gar keinen Fall den Deutschen überlassen.
Die Ursache für das Scheitern des Verkaufs war banal:
Das Propagandaministerium hatte es versäumt, die Kollegen
in Paris rechtzeitig über Almas Erscheinen zu informieren.
Die entsprechenden Instruktionen trafen erst am 4. Mai in
der Botschaft ein. Almas Schwager, der glühender Nazi
war, gelang es schließlich, Alma zu einem erneuten Besuch
in der deutschen Auslandsvertretung zu überreden. Nun
stand dem Verkauf nichts mehr im Wege. Nach einigen Wochen
fragte Berlin jedoch ungeduldig nach, ob Alma mittlerweile
in der Botschaft vorgesprochen habe. Daraufhin teilte Paris
am 6. Juni mit, dass Frau Mahler-Werfel nicht mehr gesehen
worden sei. Alma und Franz Werfel waren bereits Mitte Mai
nach Sanary zurückgekehrt.
Die Geschichte sollte jedoch erst in Amerika zu einem Ende
kommen. Mitte Dezember 1940 hiess es, Frau Mahler-Werfel sei
in ihrem New Yorker Hotel telegrafisch erreichbar und erwarte
die Anweisung des Betrages in englischen Pfund oder in US-Dollar.
Man staunte über das forsche Vorgehen der Besitzerin:
Alles sehr schön, aber woher kommen die Devisen?
Einige Wochen später lag die Einschätzung der Haushaltsabteilung
vor: Der von Frau Mahler-Werfel geforderte Betrag sei immerhin
so hoch, dass er aus der Goldreserve der Reichsbank
transferiert werden müsste. In der derzeitigen
Situation sei, wie der zuständige Beamte betonte, eine
solche Maßnahme nicht zu rechtfertigen, schließlich
dürfte es sich bei Frau Mahler-Werfel wohl um eine mehr
oder weniger nicht arische Emigrantin handeln, der gegenüber
wir zur Auszahlung solcher Summen in Bardevisen wenig Veranlassung
haben. Aus devisenpolitischen Gründen, so die offizielle
Sprachregelung, wurde der Kauf der Partitur abgelehnt. Almas
Geschäft mit dem Führer war endgültig gescheitert,
sie hatte den Bogen überspannt.
VERDI: (Franz Werfels Lieblingskomponist)
Franz Werfel war ein großer Verdi-Fan, übersetzte
das Libretto von Macht des Schicksals und feierte
mit seinem Roman Verdi. Roman einer Oper seinen
ersten großen kommerziellen Erfolg als Autor. Als der
Verdi-Roman am 4. April 1924 erschien, hatte Alma allen Grund,
auf ihr Mannkind Franz Werfel stolz zu sein. Die
erste Auflage war innerhalb weniger Monate vergriffen, und
es zeichnete sich ein beachtlicher Erfolg ab. Werfels erster
Roman wurde zum Grundstein des Paul Zsolnay Verlages.
ERICH WOLFGANG KORNGOLD: Violinkonzert
(Alma gewidmet)
Korngolds Konzert für Violine und Orchester D-dur op.
35 (Entstehung: 1945) ist Alma Mahler-Werfel gewidmet, die
eine langjährige Freundin der Familie war und mit zum
Künstlerkreis im kalifornischen Exil gehört hatte,
zu dem auch der 1934 emigrierte Korngold gehörte. Anfang
der vierziger Jahre hatte sich Los Angeles zu einer Hochburg
der deutschen Emigration entwickelt: Die Schriftsteller Thomas
und Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Alfred Döblin,
der Komponist Arnold Schönberg, der Regisseur Max Reinhardt,
um nur einige zu nennen, ließen sich irgendwann nach
ihrer Flucht aus Europa in Deutsch-Kalifornien
nieder. »Zuerst war ich ein Wunderkind, dann ein erfolgreicher
Opernkomponist in Europa und dann ein Filmmusikkomponist.
Ich glaube, dass ich jetzt eine Entscheidung treffen muss,
wenn ich nicht für den Rest meines Lebens ein Hollywoodkomponist
bleiben will« - mit diesen Worten umschrieb Korngold
1946 einen Wendepunkt. Das Kriegsende 1945 hatte dem Komponisten
nicht nur die Möglichkeit eröffnet, wieder nach
Europa zu reisen, sondern es bedeutete auch eine schöpferische
Krise. Korngold wandte sich nun von der Filmmusik ab und begann
wieder »absolute« Musik in den traditionellen
Gattungen zu komponieren. Das Violinkonzert in D-Dur op. 35
von 1945 leitete diese neue Schaffensphase ein. Die enorme
Virtuosität des Soloparts hatte Korngold damals auf die
besonderen Fähigkeiten des großen Geigers Jascha
Heifetz abgestimmt und diesem das Konzert sozusagen auf den
Leib komponiert. Dieser hat es am 15. Februar 1947 mit dem
St. Louis Symphony Orchestra unter der Leitung von Vladimir
Golschmann in St. Louis uraufgeführt. Im Finalsatz zitiert
Korngold die Hauptmelodie aus der 1937 entstandenen Hollywood-Produktion
"Der Prinz und der Bettelknabe". Angelegt als Folge
von Variationen über das volkstümlich wirkende,
rustikale Thema stellt der Schluss-Satz eine geigerische Tour
de force dar, die dem Solisten Gelegenheit gibt, seine Virtuosität
in aller Brillanz unter Beweis zu stellen. Anne-Sophie Mutter
hat diesen Geheimtipp unter den Violinkonzerten in jüngster
Zeit populär gemacht. Es ist ein wunderbares romantisches
Stück, dass sehr an Filmmusik erinnert - Kino für
die Ohren! Begleitet wird Mutter vom London Symphony Orchestra
unter der Leitung ihres Ehemanns, André Previn. Previn
hat mit diesem Orchester für seine Korngold-Interpretation
einen Grammy gewonnen.
BENJAMIN BRITTEN: Nocturne op. 60
(Alma gewidmet)
Britten: Nocturne, Op. 60. For tenor, seven obbligato instruments,
and string orchestra (1958). Britten widmete das Werk Alma
Mahler in Anerkennung dessen, was er Gustav Mahler zu verdanken
hatte. Das Nocturne op. 60 wurde beim Leeds Centenary Festival
von 1958, noch im Jahre seines Entstehens, uraufgeführt.
Es geht um Nacht, Schlaf und Traum, Britten verwendet sieben
verschiedene Solisten, die jeweils einem Lied ihre charakteristische
Farbe verleihen. Das Nocturne ist durchkomponiert und von
einer wiederkehrenden Ritornell-Figur der Streicher zusammengehalten,
deren wiegende Bewegung den Atem des Schlafenden darstellen
soll. Die Streicher begleiten den wiegenliedartigen ersten
Gesang, Shelleys On a poets lips I slept,
der vom erwähnten Schlafmotiv beherrscht wird. Eine Überblendung
führt zum zweiten Teil Tennysons The Kraken,
das große See-Ungeheuer, an das das weit dahin springende
und sich windende Solofagott erinnert. Die Harfe charakterisiert
Coleridges delikate Mondscheinträumerei des lieblichen
Knaben, der Früchte sammelt (lovely boy plucking
fruits), wobei das reine, sorglose A-dur das Britten
üblicherweise für Unschuld und Schönheit verwendet
nur in der letzten Zeile leicht verstört erscheint:
Has he no friend, no loving mother near (Ist kein Freund,
keine liebende Mutter in der Nähe?). Mit seinem farbigen
Gebrauch von Dämpfer, Stopfen und Flatterzunge liefert
das Horn die lautmalerischen, nocturnalen Klänge in Middletons
midnight bell. Die beiden Mittelsätze befassen
sich mit den eher
unheilvollen Seiten der Nacht und der Dunkelheit: Die Zeilen
aus Wordsworths Prelude erhalten ihre spezifische Färbung
durch die Pauken, deren geheimnisvolles Rumpeln die Musik
zu einem schmerzlichen Höhepunkt führt. Nach einem
raschen diminuendo folgt eine Vertonung der Freundlichen
Geister (Kind Ghosts) von Wilfred Owen, womit Britten
erstmals Poesie eines Dichters verwendet, dessen Texte er
auch im War Requiem vertonte. Hier hören wir nun einen
Trauermarsch des klagenden Englischhorns, der von dem düsteren
pizzikato-Schritt der Streicher begleitet wird. Ganz anders
ist die Keats-Vertonung Sleep and Poetry: Mit seinem luftigen
Dialog von Flöte und Klarinette ist dieser Teil der leichteste
Satz des gesamten Werkes. Der Höhepunkt ist eine Wiederholung
des ritornello, woraus wiederum das äußerst expressive,
mahlerische Schlussstück des 43. Sonetts von Shakespeare
entsteht: In When most I wink werden alle bis dahin
benutzten Instrumente kombiniert.
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