Alma Mahler-Werfel und Berlin
Wann Alma Mahler-Werfel zum ersten Mal in Berlin war, lässt
sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Sicherlich war
sie aber an der Seite Gustav Mahlers, ihres ersten Mannes,
in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts dort. Mahler hatte
in Berlin vielfältige Kontakte und dirigierte regelmäßig
in der Philharmonie. Während ihrer Affäre mit Walter
Gropius, die noch während ihrer Ehe mit Mahler begann,
waren Almas Beziehungen nach Berlin naturgemäß
ausgesprochen eng. Walter Gropius - gebürtiger Berliner
- hatte sich dort nach seinem Architekturstudium bei Peter
Behrens selbständig gemacht.
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Oskar Kokoschka:
Doppelbildnis (1912/13) |
Nach Mahlers Tod 1911 kühlte sich Almas Verhältnis
zu Walter Gropius allerdings schnell ab und sie stürzte
sich stattdessen in Wien in eine wilde Amour fou mit dem jungen
Maler Oskar Kokoschka. Dokument dieser Liebesraserei ist das
Doppelbildnis: Kokoschka und Alma halten sich
eng umschlungen und reichen sich wie zur Verlobung die Hände.
Im Frühjahr 1913 wurde dieses Gemälde auf der 26.
Ausstellung der Berliner Secession präsentiert.
1914 brachte eine erneute Annäherung von Alma zu Gropius,
und im Februar 1915 reiste sie in Begleitung ihrer lesbischen
Freundin Lilly Lieser nach Berlin - mit der schmählichen
Absicht, mir diesen bürgerlichen Musensohn wieder beizubiegen!
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Alma als Witwe Gustav
Mahlers |
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Walter Gropius |
Nach Klärung der Verhältnisse - Gropius stellte
sie wegen der Liaison mit Oskar Kokoschka zur Rede - flammte
die alte Leidenschaft rasch wieder auf. Ich brachte
ihn auf die Bahn - dort übermannte ihn aber die Liebe
derart, dass er mich kurzerhand in den schon abgefahrenen
Zug zog und ich nun wohl oder übel mit nach Hannover
fahren musste. Ohne Nachthemd, ohne die geringsten Bequemlichkeiten
und Hilfsmittel wurde ich so, ziemlich gewaltsam, die Beute
dieses Mannes. Ich muss sagen, es gefiel mir nicht übel...
Einige Tage später kam Gropius nach Berlin zurück:
Er hatte plötzlich Ehemannsmanieren - tat alles,
um mich in die Hoffnung zu bringen und ich zittere noch jetzt,
dass es geschehen sei. Dann reiste er wolgemut und stolz wie
nach irgend einer getanen Tat ins Feld zurück.
Die Zeit in der deutschen Reichshauptstadt hatte Almas Gefühlshaushalt
gehörig durcheinander gebracht. Nicht nur Gropius' forsches
Vorgehen verwirrte sie, sondern auch die Erkenntnis, dass
ihre Freundin Lilly lesbisch war und ihr den Hof machte. Mein
Grauen vor perversen Personen war immer sehr groß gewesen,
notierte sie damals in ihr Tagebuch. Nach den Berliner Tagen
voll Leidenschaft und Erinnerung schrieb Alma dennoch an Gropius:
Klar steht vor mir - als Lebenswunsch - Dein Eigentum
für immer, Deine Gattin zu werden.
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Walter Gropius in Uniform |
Nachdem sich die Beziehung zu Oskar Kokoschka überlebt
hatte, war es jedoch nicht so sehr ein inneres Bedürfnis,
das Alma glauben ließ, Walter Gropius heiraten zu müssen.
Vielmehr waren es gesellschaftliche, in jedem Fall äußerliche
Konventionen, die sie auf den Gedanken an eine weitere Ehe
gebracht hatten - heute würde man vielleicht von Torschlusspanik
sprechen. Liebe war also trotz manch rauschhafter Nacht nicht
im Spiel, und man gewinnt den Eindruck, Alma habe Gropius
auf sein attraktives Äußeres reduziert, das ihrer
natürlich-physiologischen Bestimmung entsprach.
Am 6. April schrieb sie in ihr Tagebuch: Ich weiß
genau, was mir ist - ich liebe W.G., habe seit 14 Tagen nichts
von ihm gehört und bin darum krank vor Sehnsucht.
Diese Leidenschaft schlug nur zwei Tage später in kühle
Distanz um: Heute habe ich von W.G. einen direkten,
bösen Brief bekommen. Ich war tief erregt - und tief
erschrocken - aber immer mehr fühle ich, dass dieser
Mensch nicht mein Leben bedeutet. Seine Eifersucht auf O.K.
ist grenzenlos! So viel arische Rücksichtslosigkeit könnte
sich höchstens in meiner Nähe mit Magie paaren,
um ertragen werden zu können; aber gepaart mit Philistertum
entbehrt sie jeglicher Begründung. O.K. darf rücksichtslos
sein. Dieser Mensch nicht, dieser kleine gewöhnliche
Mensch! Auf die Knie vor mir, wenn ich bitten darf!
Und weitere 24 Stunden später hieß es: Gott
- gib mir Kraft dazu und sende ihm einen Blitzstrahl - der
ihn versängt, so, dass meine Schmach ihr Ende hätte!
Vernichtung ihm, der mir eine so böse Wunde schlug. Ich
hasse seine Existenz! Ich liebe
hasse
liebe
hasse
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Walter
Gropius |
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Alma mit Walter Gropius
und der gemeinsamen Tochter Manon |
Der gebildete, vornehme und wohl auch etwas steife Preuße
aus gutem Elternhaus war Alma auch zu langweilig. Anna Mahler,
die Tochter, erinnerte sich Jahrzehnte später daran,
dass ihre Mutter immer gesagt habe, Walter Gropius sei ja
so fad gewesen. Dennoch drängte sie auf eine
baldige Hochzeit. Wenn Du Urlaub bekommst, schrieb
sie im Juni an Gropius, gehe ich dorthin - wo Du mich
am schnellsten siehst - ich bringe meine Papiere mit und wir
heiraten
ohne dass es ein Mensch erfährt.
Ich zittere vor unserer Wildheit, schrieb sie
ihm, und gelegentlich unterzeichnete sie schon vor der Hochzeit
als Maria Gropius: Geküsster, geliebter Name! Meines
Herrn Name.
Die heimliche Vermählung von Alma und Gropius fand dennoch
am 18. Mai 1915 in Berlin statt. Die äußeren Umstände
waren allerdings ziemlich prosaisch. Als die Brautleute sich
im Standesamt III in der Parochialstraße das Jawort
gaben, waren keine Familienangehörigen anwesend, die
Trauzeugen stammten von der Straße: Der 28-jährige
Maurer Richard Munske und der 21 Jahre alte Pionier Erich
Subke dürften zufällige Passanten gewesen sein.
Der Bräutigam hatte nur zwei Tage Sonderurlaub erhalten
und musste danach wieder an die Front, an romantische Flitterwochen
war also nicht zu denken. Gestern habe ich geheiratet,
schrieb Alma am 19. August in ihr Tagebuch, bin gelandet.
Nichts soll mich fortan aus meiner Bahn schleudern - rein
und klar ist mein Wollen, nichts will ich, als diesen edlen
Menschen glücklich machen! Ich bin befreit, selig, ruhig
erregt - wie noch nie! Gott erhalte mir meine Liebe!
Über Gropius' Gründe, trotz der perspektivlosen
Ausgangssituation in eine Hochzeit einzuwilligen, kann nur
spekuliert werden. Einiges spricht dafür, dass er Alma
wirklich liebte. Vielleicht wollte er auch sein durch den
Krieg aus den Fugen geratenes Leben in bürgerliche Bahnen
lenken, hoffend, dass das große europäische Schlachten
nicht zu lange dauern würde, um dann mit seiner Frau
eine Familie zu gründen. Wie auch immer: beiden - Alma
und Gropius - war wohl bewusst, dass sie zunächst eine
Ehe auf Distanz führen mussten. Dennoch dachte sie zeitweilig
darüber nach, nach Berlin zu übersiedeln und erwog
Villen im Grunewald oder in Wannsee.
Es gehörte zu den Besonderheiten dieser Ehe auf Distanz,
dass Beschwörungen ekstatischer Liebe auf bittere Klagen
und den Austausch alltäglicher Belanglosigkeiten folgten.
Und so bedachte Alma ihren Mann mit erotischen Phantasien,
die in ihrer Intimität eine Frau zeigen, die sich nach
lang entbehrter sexueller Erfüllung sehnt. Das
erste mal, wenn wir uns wieder sehen, werde ich an Dir zu
Boden sinken, auf Knien bleiben, kniend Dich bitten mir mit
Deinen Händen das heilige Glied in den Mund zu stecken
und alle meine Feinheiten, alles Raffinement, das ich an Dir
erlernt habe will ich anwenden um Dir eine rasende [unleserlich]
zu geben. Dann wirst Du wild werden, mich aufreißen,
mit aller Sorgfalt auf ein Bett legen, das so breit ist, wie
wir Beide lang sind - Blumen sind im Zimmer und Kerzen brennen
und dort lege mich hin und quäle mich, indem Du mich
warten lässt, immer warten lässt - bis ich weine
und flehe! Bitte! An anderer Stelle bat sie ihn: Wenn
dieser Brief Dich verleitet, mit der erlauchten Hand Dein
süßes Glied zu berühren, dann schicke mir
wenigstens was mir gehört davon und ich gebe es in mich
- so ist es nicht verloren.
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