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Wie sehen Sie Alma Mahler?

PAULUS MANKER: Sie war eine Ikone, aber man hat sie zur Kulturnutte nieder stilisiert und daran hat sie leider selber schuld gehabt durch ihre Autobiographie, die sehr eitel, sehr hoffärtig und sehr unkontrolliert herausgegeben ist. Sie hat vieles entschärft, vieles weggelassen und hat versucht, im Alter ihr Leben zu schminken. Das wäre aber gar nicht notwendig gewesen, wie die Jugendtagebücher zum Beispiel zeigen, die ganz wild und weitsichtig und kühn sind. Man weiß mittlerweile durch umfassende Biographien mehr über Mahler, Kokoschka, Werfel, als die wahrscheinlich über sich selbst wussten. Und kann daher Revision einlegen bei Almas Darstellung. Was manchmal vonnöten ist. Trotzdem ist sie eine tolle Frau. Und das haben zu ihrer Lebenszeit auch die Gegner - und es gab natürlich auch große Gegner, bezeichnenderweise immer die, die gerade mit ihrer Tochter Anna liiert oder verheiratet waren, Ernst Krenek, Elias Canetti haben kein gutes Haar an ihr gelassen, auch ihre Tochter war sehr kritisch - alle haben eine ungeheure Ausstrahlung konzediert, eine große Faszination.

Sie spielen Alma jetzt seit 1996.

Das Stück ist ein lebendiges Theaterstück, das wir nicht sechs Jahre wiedergekäut haben, sondern jedes Jahr neu erfunden haben. Teilweise mit neuen Szenen, teilweise mit neuen Schauspielern, heuer, 2002, mit einem neuen Spielort und neuen Sprachen: Wir spielen ja deutsch, italienisch und englisch, was für uns eine große Herausforderung ist. Die meisten von uns kennen den Text ja, aber es ist nicht unsere Muttersprache. Wir sitzen schon seit Wochen wie das Karnickel vor der Boa vor unseren Texten.

Wie lange braucht man dazu?

Monate. Um es wirklich so drin zu haben, daß Sies aus sich herausspülen oder herausschreien können.

Wie sind Sie auf Italien als Spielort gekommen?

Es war eigentlich New York angedacht. Mit dem 11. September war das erstmal gegessen. In Venedig hat Alma ein Haus besessen, hat mit dem Werfel und mit der Gropius-Tochter dort gewohnt, und die Anna Mahler hat sie dort besucht. Und da gibt es noch diese Spuren, Leute, die sie gekannt haben, eine alte Dame, die ihr Taufkind ist. Und dann natürlich auch der Zauber einer untergegangenen Welt, dieses Phlegma und diese, wie soll ich sagen, Morbidität, die auch ein Qualitätsmerkmal von Purkersdorf war.

Wie sehen Sie die Theatersitation in Wien?

Die ist erschreckend und entmutigend für jemand, der vom Theater ein bißchen mehr will, als einfach Bildungsbürgertum bedienen oder von ihm bedient werden. Auch die ganze Wiener Kulturpolitik mit dem Wechsel des Kulturstadtrats, ist in einem Stadium völlig infantiler Unkenntnis. Extrem. Es ist wahnsinnig schwer, Dinge, die nicht in dieser Schiene des völlig Konventionellen laufen, hier auf die Beine zu stellen. Das einzige Theater, das nennenswert ist im Moment in Wien, ist das Schauspielhaus: Medea war die beste Aufführung der Saison. Das wird nun wiederum von den Mitgliedern Ihrer Zunft überhaupt nicht bemerkt. Das ist ja ein eigenes Kapitel, die Ignoranz der Wiener Theaterkritik, die ja nie irgend etwas erkennt, geschweige denn fördert. Ein Erfolg wie Alma zeigt, daß das Publikum bereit ist, Theater einmal anders zu genießen, näher, authentischer, unmittelbarer als im dunklen Loch des Zuschauerraumes und über die vierte Wand getrennt, was eine Theaterform ist, die aus royalistischen Zeiten und später aus dem 19. Jahrhundert kommt, aber weder beim Shakespeare-Theater noch bei den großen antiken Theatern noch bei den mittelalterlichen Formen der Fall war.

Alma ist Ihr bisher grösster Erfolg?

Von Alma sagen viele Leute, das ist das schönste Theatererlebnis ihres Lebens. Das ist ein Superlativ, der macht uns höchst dankbar und ermutigt uns. Bei Alma kann man ja ganz nah sein, auf Tuchfühlung. Da war einmal wirklich einer zehn Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Zwei Zentimeter näher und er hätte mich berührt. Und kam nach der Vorstellung und sagte, Ich habe Sie gestört, gel. Ich habe gesagt: Nein, Sie haben mich nicht gestört, aber Sie waren wirklich sehr nah dran. Er sagte: "Ich mußte den Schmerz in Ihren Augen sehen!" Und so was nehmen wir schon als Kompliment.

Lieben Sie Theater eigentlich?

Ja. Ich glaube, man kann Theater nicht machen, wenn man es nicht mit dem höchsten Grad an Leidenschaft betreibt, wenn man nicht jeden Abend denkt, man ist das Zentrum der Welt. Vernunftmäßig weiß ich, daß ich es nicht bin und daß es das Theater nicht sein kann. Aber wenn Sie mit diesem Kleinmut auf die Bühne gehen, haben Sie meiner Meinung nach dort nichts verloren. Für die drei Stunden, die Sie sich dort ausbluten, müssen Sie Erdmittelpunkt sein. Alles andere ist langweilig und medioker, und das wollen wir ja nicht sein.