Das "Mannkind" Franz Werfel
(1917-1937)
In Almas Salon in der Elisabethstraße herrschte während
des Ersten Weltkriegs reges gesellschaftliches Treiben. Komponisten,
Schriftsteller, Maler, Dirigenten, Schauspieler und Wissenschaftler
versammelten sich regelmäßig bei ihr. Es war eine
Elite von Geistesmenschen, die von ihr inspiriert, gefördert
oder kritisiert wurden ihr Blick auf die Genies war
durchdringend und herausfordernd.
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Die Muse Alma
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Alma Mahler-Gropius
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Gropius als Soldat
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Am 14. November 1917 brachte der Schriftsteller Franz Blei
den erst 27-jährigen Franz Werfel zu einer der Abendgesellschaften
in Almas Salon mit. Alma hatte zwei Jahre zuvor dessen Gedicht
Der Erkennende vertont, war dem bis dahin vor
allem als Lyriker bekannten Werfel jedoch noch nicht persönlich
begegnet. Sie fand Werfel zunächst physisch wenig attraktiv
und störte sich daran, dass er Jude war: Werfel
ist ein O-beiniger, fetter Jude mit wülstigen Lippen
und schwimmenden Schlitzaugen! Aber er gewinnt, je mehr er
sich gibt. Anders als bei Gropius, der sich für
Musik wenig interessierte, teilte Werfel aber Almas Interesse
an Musik. Er besuchte sie in den folgenden Wochen häufiger,
um gemeinsam mit ihr zu musizieren.
Franz Werfel war ein bekannter expressionistischer Lyriker,
als er Alma kennenlernte. Er zog nächtelang mit Ernst
Polak, Alfred Polgar und Robert Musil durch die Bars und Cafés
Wiens, doch änderte sich das bald. Werfel bezeichnete
seine Geliebte als Hüterin des Feuers, die
von ihm ein tägliches Zeilenpensum verlangte und ihn
aufforderte, jene kreativen Ideen umzusetzen, für deren
Realisierung ihm zuvor die Energie gefehlt hatte.
Noch während ihrer Ehe mit Gropius wurde Alma Anfang
1918 von Werfel schwanger, das Baby kam frühzeitig zur
Welt, da Werfel seine unersättliche Gier nicht beherrschen
konnte und es eines Nachts in Breitenstein seiner Geliebten
in einem wahren Blutbad aus dem Leib stieß. Baby Martin
litt an Gehirnwassersucht und war zehn Monate später
tot, eine Folge von Werfels verkommenem Samen,
wie Alma es ausdrückte. Da Gropius zufällig Ohrenzeuge
eines Telefonats zwischen seiner Ehefrau und Werfel geworden
war, musste er erkennen, dass er nicht der Vater gewesen war.
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Alma und Werfel, 1919
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Almas Haus in Breitenstein am Semmering
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Werfel sah in Alma seine Erretterin, eine Göttin, die
er anbeten durfte, und nannte sie eine der wenigen
Zauberfrauen, die es gibt. Als Arbeitsdomizil wies
sie ihm das abgelegene Haus in Breitenstein am Semmering zu.
Die Ehe mit Gropius war für Alma ohnehin eine Mischung
aus gesellschaftlicher Konvention, innerer Leere und Desorientierung,
sie wurde am 11. Oktober 1920 geschieden. Streitpunkt war
lange Zeit zwischen den beiden Ehepartnern das Sorgerecht
für die gemeinsame Tochter Manon. Nüchtern konstatiert
Gropius in einem Brief an seine Noch-Ehefrau, den er ihr am
18. Juli 1919 schrieb:
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Alma mit Walter Gropius
und der gemeinsamen Tochter Manon, 1918
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Walter Gropius
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Unsere Ehe war niemals eine Ehe. Die Frau fehlte in ihr.
Eine kurze Zeit warst Du mir herrliche Geliebte und dann gingst
Du fort, ohne die Krankheit einer Kriegsverdorrung mit Liebe
und Milde und Vertrauen überdauern zu können
das wäre eine Ehe gewesen.
Obwohl das Verhältnis zwischen Werfel und Alma Mahler
zu diesem Zeitpunkt bereits öffentlich bekannt war, nahm
Gropius die Schuld für das Scheitern der Ehe auf sich.
In einer theaterreifen Farce ließ er sich in flagranti
mit einer Prostituierten in einem Hotelzimmer ertappen, um
so eine schnelle Scheidung zu erwirken.
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Franz Werfel und Max Reinhardt
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Alma Mahler-Gropius 1920/21
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Bereits seit 1919 hatte Alma mit Franz Werfel zusammengelebt.
Öffentlich wurde die Beziehung, als Max Reinhardt Werfel
einlud, Mitte April 1920 am Deutschen Theater in Berlin aus
seiner neuen Vers-Trilogie Spiegelmensch vorzulesen,
was für Werfel eine große Auszeichnung darstellte.
Alma begleitete den elf Jahre jüngeren Schriftsteller
nach Berlin und wich nicht von seiner Seite die gesellschaftliche
Sensation war perfekt.
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Der Komponist
Ernst Krenek
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Anna Mahler
um 1920
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Krenek und Anna im Garten der Casa
Mahler
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Almas Tochter Anna begann 1922 eine Beziehung zu dem Komponisten
Ernst Krenek, der der einstmals gefeierten Wiener Schönheit
das erste Mal begegnete, als sie bereits Anfang Vierzig war.
In seinen Erinnerungen Im Atem der Zeit zeichnet
er ein sehr maliziöses Bild von ihr:
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Alma vor dem
Campanile in Venedig
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Ein prächtig aufgetakeltes Schlachtschiff.
Sie war es gewohnt, lange, fließende Gewänder
zu tragen, um ihre Beine nicht zu zeigen, die vielleicht ein
weniger bemerkenswertes Detail ihres Körperbaus waren.
Ihr Stil war der von Wagners Brünhilde, transportiert
in die Atmosphäre der Fledermaus.
Beeindruckt war Krenek von Almas unerschöpflicher und
unzerstörbarer Vitalität: Sie hatte tatsächlich
das Zeug dazu, das Leben zu einem schwindelerregenden Karussell
zu machen.
Alma lud Anna und Ernst Krenek in die besten Restaurants
Berlins ein, wo sie raffinierte, komplizierte und
sichtlich teure Speisen und vor allem reichlich schwere Getränke
aller Art orderte. Bei diesen Anlässen bemerkte
Krenek, dass Essen und Trinken die Grundelemente
ihrer Strategie waren, Menschen zu hilflosen
Untertanen ihrer Macht zu machen. Sie betörte
und bezauberte ihre Gäste und war in Hochform, wenn
Sinne und Verstand ihres Gefolges gleichzeitig benebelt und
erregt waren.
Und: Sex war das Hauptgesprächsthema, und meistens
wurden lärmend die sexuellen Gewohnheiten von Freunden
und Feinden analysiert, wobei Werfel eine ernste und intellektuelle
Note einzubringen versuchte, indem er sich feierlich über
die Weltrevolution verbreitete.
Anfang der 1920er-Jahre erwarb Alma zusätzlich zur Wohnung
in der Wiener Elisabethstraße und dem Haus am Semmering
einen weiteren Wohnsitz, einen kleinen Palazzo in Venedig,
unweit der Frari-Kirche, die Casa Mahler.
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Alma
la Divina
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Alma mit Franz Werfel und
Carl und Anna Moll, 1925
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Die "Casa Mahler" (links),
unweit der Frari Kirche
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Almas mit Franz Werfel und Manon
auf dem Markusplatz in Venedig, 1923
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Anna Mahler in Santa Margharita, 20er
Jahre
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Geldbeschaffung
Von Mahlers Vermögen war kaum etwas übrig geblieben,
da Alma 1914 einen großen Teil davon in Kriegsanleihen
angelegt hatte. Der verbleibende Rest wurde von der Inflation
in den 20er-Jahren aufgezehrt. Da Mahlers Sinfonien in diesen
Jahren auch nur gelegentlich gespielt wurden, waren auch die
Einnahmen aus Tantiemen zu gering, um den üppigen Lebensstil,
den Alma Mahler führte, zu finanzieren.
Alma beauftragte ihren Schwiegersohn Ernst Krenek, das Fragment
von Mahlers unvollendeter 10. Sinfonie in ein geschlossenes
Werk zu transkribieren. Krenek weigerte sich jedoch, diesem
frevelhaften Ansinnen nachzugeben und edierte nur die nahezu
vollendeten Sätze Adagio und Purgatorio, die am 12. Oktober
1924 unter Leitung von Franz Schalk in der Wiener Staatsoper
uraufgeführt wurden.
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Alma und Franz Werfel in Trahütten,
1925
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Gustav Mahlers Totenmaske
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Parallel dazu publizierte Alma im neu gegründeten Paul
Zsolnay Verlag eine Sammlung von Mahler-Briefen sowie ein
Faksimile seiner 10. Sinfonie, deren Blätter allerdings
sehr persönliche Notizen trugen, Aufschreie einer
gequälten Seele, in denen Mahler seiner Verzweiflung
über Almas Affäre mit Walter Gropius Ausdruck verlieh,
Ausbrüche einer verzweifelten Leidenschaft,
die an Alma gerichtet waren, wahnsinnigen Äußerungen
eines Mannes, der mit dem Tode rang und dem kaum bewusst war,
worauf er schrieb (Krenek). Parallel publizierte
Alma aber auch fünf ihrer eigenen, bislang nicht veröffentlichten
Gesänge und die Universal Edition brachte die bereits
1915 mit Unterstützung von Gustav Mahler veröffentlichten
Vier Lieder in einer weiteren Auflage heraus.
Franz Werfel jedoch wurde zum Großverdiener im Hause
Mahler-Werfel herangezüchtet. Im April 1924 erschien
Verdi Roman der Oper im Zsolnay Verlag
und begründete Werfels Ruhm als Romanschriftsteller,
das Buch wurde innerhalb weniger Monate mehr als zwanzigtausend
Mal verkauft. Alma hatte Werfel in seiner Arbeit wesentlich
unterstützt und seine Fortschritte kritisch begleitet,
da ihr wohl klar war, dass mit einem Roman mehr Geld zu verdienen
sei als mit den Gedichten und Novellen, der so gut
sein müsse, wie nur irgendeiner von diesen Klassikern,
sich aber zugleich zum Verkauf an den Zeitungsständern
der Bahnhöfe eignen solle.
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"Der Dichter
mit frommer Miene ersinnt ein neues Werk. Der
Dichter allein erkennt sich selbst!" (aus
Almas venezianischem Fotoalbum)
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Almas Geldbeschaffungsmaßnahmen erwiesen sich schnell
als erfolgreich, bereits 1925 konnte sie Alban Berg bei der
Drucklegung seiner Oper Wozzeck unterstützen,
der ihr aus Dankbarkeit diese Oper widmete. 1926 wurde Werfel
von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
mit dem Grillparzer-Preis ausgezeichnet und Max Reinhardt
führte in Berlin sein Stück Juarez und Maximilian
auf.
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Franz Werfel 1930
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Mit fünfzig Jahren heiratete Alma am 6. Juli 1929 endlich
ihr Mannkind Franz Werfel, den jüdischen
Dichter und Autor von Romanen und erfolgreichen Theaterstücken,
der zu dieser Zeit zu den meistgelesenen Autoren deutscher
Sprache zählte. Es war ihre dritte Ehe. Gemeinsam pendelte
sie mit ihm und ihrer Tochter Manon zwischen der Casa
Mahler in Venedig und dem Haus am Semmering.
IIm Januar 1924 vertraute Alma ihrem Tagebuch an: Ich
liebe ihn nicht mehr. Mein Leben hängt innerlich nicht
mehr mit dem seinen zusammen. Er ist wieder zusammengeschrumpft
zu dem kleinen, hässlichen, verfetteten Juden des ersten
Eindrucks.
Almas Eheschließung war auch eine Reaktion auf ihr
fortgeschrittenes Alter und ihren körperlichen Verfall,
sie hatte auch seit ihrer Jugend nicht mehr alleine gelebt
und fürchtete, keinen Lebenspartner mehr zu finden. Dennoch
verbrachten die beiden lange Zeiten getrennt.
Alma reiste alleine nach Venedig, Werfel verbrachte seine
Zeit am Semmering oder in Santa Margherita Ligure in der Provinz
Genua, um dort an seinen Romanen weiterzuarbeiten. Er fühlte
sich überdies in der pompösen Villa auf der Hohe
Warte nicht wohl, zur wachsenden Kluft trugen aber auch unterschiedliche
politische Meinungen bei.
Im Klima zunehmender politischer Radikalisierung in Österreich
und im angrenzenden Deutschland verstärkte sich Almas
notorischer Antisemitismus. Sie machte etwa zur Bedingung,
dass Werfel vor der Hochzeit aus der jüdischen Religionsgemeinschaft
austreten müsse. Werfel folgte dem Wunsch, trat jedoch
wenige Monate später ohne Wissen Almas wieder zum Judentum
über.
Den Nationalsozialisten stand Alma positiv gegenüber,
nach der Ausschaltung des Parlaments durch Engelbert Dollfuß
stand sie im Bürgerkrieg 1934 auf der Seite der Austrofaschisten,
der spanische Bürgerkrieg war ein weiterer Streitpunkt
zwischen den Ehepartnern, da Alma die Seite Francos vertrat,
Werfel sich aber zur republikanischen Seite bekannte.
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Oskar Kokoschka:
Alma Mahler als Gioconda
(1912, Öl auf Leinwand)
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Alma mit Franz Werfel im Damenzimmer der
Villa auf der Hohen Warte mit Kokoschkas Alma-Porträt
an der Wand und einem seiner Fächer, 1931
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Menschen hungern in Kerkern, die Werfels aber fressen
aus der Krippe und lecken die Hand. Die Verkörperung
der menschlichen Dreckseele kommentierte die Brünner
Arbeiterzeitung Werfels schwammige politische Haltung, die
von politischer Naivität und dem Einfluss Almas geprägt
war, wenn er mit Schuschnigg und seiner Frau in einer von
Benito Mussolini zur Verfügung gestellten Limousine 1935
Ausflüge unternahm. Gustav Mahlers 25. Todestag fand
unter dem Ehrenschutz des Bundeskanzlers Schuschnigg statt,
Werfel wurde 1937 sogar mit dem Österreichischen
Verdienstkreuz für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.
In Almas Villa auf der Hohen Warte verkehrten seit Anfang
der 30er-Jahre zunehmend Gäste, die Almas politischer
Gesinnung entsprachen. Neben Bundeskanzler Kurt Schuschnigg
auch der faschistische Putschist Anton Rintelen und der 37-jährige
Theologieprofessor und Ordenspriester Johannes Hollnsteiner,
der in Hitler einen neuen Luther sah. Er verliebte
sich in die 50-jährige Alma, zwischen den beiden kam
es zu einer Affäre, für die Alma sogar eine kleine
Wohnung mietete, um sich heimlich mit ihrem Geliebten treffen
zu können.
1935 starb die erst 19-jährige Manon, deren engelsgleiche
Schönheit Alma auf die Tatsache zurückführte,
dass ihr Vater Walter Gropius Arier war, plötzlich an
Kinderlähmung. Ihr Begräbnis geriet zum gesellschaftlichen
Großereignis in
Wien, Hollnsteiner hielt die Leichenrede, Alban Berg widmete
ihr sein Violinkonzert: Dem Andenken eines Engels.
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Alma mit Johannes Hollnsteiner und
ihrer Tochter Manon in Wien, 1933
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Wie eine wundersame Blume blühte sie auf. Rein
wie ein Engel ging sie durch die Welt. Vielen war sie Freude
und Liebe. Denen sie am nächsten stand, aber Sonnenschein
und Lebensfreude.
Sie ist hinübergegangen in Sein Reich: Am Feste der
Liebe und der Auferstehung hat sie der göttliche Bezwinger
von Tod und Not heimgeholt in das Reich, von dem es heißt:
Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr hat es gehört,
was Gott denen bereitet, die ihn lieben.
(aus der Leichenrede von Johannes Hollnsteiner)
Die Prunkvilla auf der Hohen Warte wurde für Alma bald
zum seelischen Ballast, da Manon dort gestorben war, Werfel
zog es ohnehin vor, in Hotelzimmern außerhalb Wiens
zu arbeiten. Am 12. Juni 1937 gab Alma ein Abschiedsfest in
ihrer Villa, bei dem tout Vienne anwesend war, darunter Bruno
Walter und Alexander von Zemlinsky, Ida Roland, Carl Zuckmayer,
Egon Wellesz, Ödön von Horváth, Siegfried
Trebitsch, Arnold Rosé, Karl Schönherr, Franz
Theodor Csokor und viele andere. Eine Schrammelkapelle stimmte
melancholische Wiener Volkslieder an, und für viele Gäste
lag so etwas wie Endzeitstimmung in der Luft.
Seit dem Abkommen zwischen Hitler und Schuschnigg vom 11.
Juli 1936, in dem als Gegenleistung für Deutschlands
Anerkennung der Souveränität Österreichs eine
Amnestie österreichischer Nationalsozialisten vorgesehen
war, nahmen die Sorgen um die Zukunft des kleinen Landes zu.
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Alma und Franz Werfel 1937
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Almas Villa auf der Hohen Warte
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Das Fest begann um acht Uhr abends und dauerte bis zum nächsten
Tag um zwei Uhr mittags. Am Ende fiel Franz Werfel betrunken
in den Gartenteich und Carl Zuckmayer übernachtete in
der Hundehütte.
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Almas Villa auf der Hohen Warte in Wien, Steinfeldgasse 2, erbaut von Josef Hoffmann als »Villa Ast« mit 28 weitläufigen Räumen. |
> weiter: Emigration
(1938 - 1945)
<
zurück: Himmel und Hölle (1911 - 1917)
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