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| | ALMAS FLUCHT ÜBER LISSABON NACH NEW YORK Im Mai 1940, während der deutschen Invasion in Frankreich, versuchten Alma und Franz Werfel verzweifelt, ihre nicht mehr gültigen U.S.-Visa von 1938 zu erneuern. Aus Furcht vor dem vorrückenden deutschen Militär beschlossen sie aber im Juni 1940 ohne gültige Papiere nach Spanien zu flüchten. Immerhin hatten sie eine Summe Geldes bei sich, von der andere Emigranten nur träumen konnten. Franz Werfel war zweifellos extrem gefährdet. Laut einem unbestätigten britischen Rundfunkbericht war er sogar von Deutschen erschossen worden, hieß es, durchaus glaubhaft, im Sommer 1940. | | | Werfels tschechischer Reisepaß Werfels Mühen um eine Ausreise aus Frankreich sind in ihm genau abzulesen: Zunächst ist das erste U.S.-Visum eingetragen, datiert vom 14.Oktober 1938 in Marseille; eine französische Ausreiseerlaubnis nach Portugal via Spanien, Grenzort Hendaye, ausgestellt in Bayonne am 23. Juni 1940 (beide konnten nicht genützt werden); ein portugiesisches Transitvisum in die U.S.A. - ausgestellt in Marseille am 7. August 1940, im«halb von 30 Tagen zu benützen (verfallen); die spanische Durchreiseerlaubnis nach Portugal, datiert vom 8. August 1940 in Marseille; ein portugiesisches Durchreisevisum, ausgestellt in Marseille am 31. August 1940; eine Einreiserlaubnis für Mexiko, ausgestellt in Marseille am 27. August 1940; einen Stempel der "Nea Hellas", 4. Oktober 1940; das zweite Einreisevisum in die U.S.A. vom 22. März 1941 aus Nogales an der mexikanischen Grenze, in dessen Folge Werfel am 18. Juni die "First Papers" des Einbürgerungsverfahrens erhielt. | Auf abenteuerliche, gefährliche und nerven zermürbende Weise fuhren Alma und Franz Werfel zwei Wochen lang in gemieteten Autos zuerst nach Bordeaux, dann an die spanische Grenze im Westen Frankreichs. Der Grenzübertritt war aber nicht möglich, man mußte wieder zurück nach Marseille. Am Ende der Irrfahrt endlich in Lourdes gestrandet, bemühten sich die Ehepaare Werfel und Victor und Bettina von Kahler (man hatte einander kurz zuvor in Biarritz zufällig getroffen), zumindest für die Rückreise nach Marseille Papiere zu erhalten. Werfel beschäftigte sich während des siebenwöchigen Aufenthalts in Lourdes mit der Lokalgeschichte der heilig gesprochenen Bernadette Soubirous. Er gelobte, einen Roman über sie zu schreiben, falls ihm die Flucht nach Amerika gelinge. Aus diesem Vorsatz wurde "Das Lied von Bernadette", ein Roman, der später in Hollywood mit grossem Erfolg verfilmt wurde. Aus einem Brief Franz Werfels an Johannes Urzidil vom April 1940 aus Frankreich: "Ich arbeite wieder, obwohl es mir physisch nicht gut geht. Der Sinn meiner Arbeit wird immer problematischer. Das Exil ist das, was man in der Musik eine enharmonische Verwechslung nennt. Man ist derselbe wie früher, mit derselben Begabung, denselben Fehlern. Und doch hat alles plötzlich eine andere Bedeutung bekommen. Derselbe Wert notiert anders und vor allem minder. Eine geschwächte Situation ist ein Mißerfolg an sich. Die Menschen eskomptieren ihn. Man muß also um die Fünfzig neu beginnen. In Marseille wohnten die Werfels unter falschem Namen im Hotel "Louvre & Paix" an der Cannebière - auch wenn sie für deutsche Spitzel leicht erkennbar waren, vor allem durch Alma Mahler-Werfels rücksichtsloses und lautes Auftreten. Die Papiere zur Ausreise aus Frankreich, zur Durchreise durch Spanien und Portugal, für Schiffspassage und Einreise in die U.S.A. half schließlich der Emissär des Emergency Rescue Committees, Varian Fry, besorgen. Er verhalf unter abenteuerlichen Umständen und unter Einsatz seines und seiner Mitarbeiter Leben mehreren tausend Emigranten zur Flucht. | | | Franz Werfels Passierschein, gültig für einen Monat (25. August bis 24.September 1940) | Am 13. September 1940 gingen die Werfels, gemeinsam mit dem siebzigjährigen Heinrich Mann, dessen Frau Nelly und Golo Mann, in stundenlangem Marsch zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien. Die 12 Koffer, die neben Manuskripten Werfels auch Partituren von Gustav Mahler und Anton Bruckners 3. Symphonie enthielten, brachte Varian Fry ihnen mit der Bahn nach. Dann reisten die Flüchtlinge per Bahn nach Madrid, per Flugzeug weiter nach Lissabon, und letztendlich per Schiff, der "Nea Hellas", in die rettende Freiheit - nach New York. >top LISSABON Es war schon Abend, als wir in Lissabon ankamen - der Flugplatz noch nicht fertig und ohne Licht. Wie überall auf Ämtern standen wir stundenlang sinnlos herum. Der Beamte musterte streng das Verzeichnis der Werke Franz Werfels, die der Herzog von Württemberg, ein hoher Geistlicher, zur Rekommendation für Werfel aufgeschrieben hatte. Er stutzte, als er zu dem Titel Paulus unter den Juden kam. »Ach, Sie kommen wohl aus jüdischer Familie?« Franz Werfel sagte nicht ja, nicht nein, und zeigte verwirrt nur auf mich, wobei der Beamte ein höhnisches Zeichen machte, so als ob meine Herkunft für jeden ersichtlich sei. Juden durften damals nicht nach Portugal hinein oder waren doch höchst ungern gesehen. Nach langem Nachdenken gab uns der Beamte den Einlaßstempel. Endlich ein Hauch von Freiheit für uns! In der Nähe von Lissabon, im Estoril-Hotel, mußten wir nun zwei Wochen warten. Die ersten Tage einer paradiesischen Ruhe in einem paradiesischen Lande sind unvergeßlich, nach der Qual der letzten Monate. In Lissabon erlebten wir recht merkwürdige Dinge mit den Menschen. Eine große Betrügerei und eine große Liebestat. | | | Almas und Franz Werfels Meldezettel vom Grande Hotel d'Italia Estoril vom 18. September 1940. Als Nationalitär ist bei beiden "Tschecho Slowakei" angegeben. Bemerkenswert ist, dass Alma hier ausnahmsweise mit "Alma Werfel-Mahler" unterschrieben hat und nicht - wie ihr ganzes sonstiges Leben lang - mit "Alma Mahler-Werfel". Beide verwendeten zur Vorlage Reisedokumente des American Foreign Service. Die Abreise aus dem Hotel erfolgte am 18. Oktober 1940. | | > Vergrösserung | | | | | Ein Herr B. aus Wien, von unserem Freund Zernatto uns vorgestellt, gab vor, meine zweihundert englische Pfund zu einem günstigeren Kurse wechseln zu können als in irgendeiner Bank. Ich gab ihm das Geld. Am nächsten Tag beteuerte er, die Pfunde von mir nicht bekommen oder das ganze verloren zu haben. Er frug noch nach Merkmalen an den Banknoten, die mir aber im Augenblick entfallen waren. Es war ein harter Kampf, und Franz Werfel mußte einen ganzen Tag auf B. einreden, bis er ihn mürbe gemacht hatte. Er gab uns das Geld eine Stunde vor unserer Abreise nach Amerika zurück und behauptete, die Noten aus eigener Tasche angeschafft und bezahlt zu haben. Auf dem Schiff besah ich die Banknoten - und fand meine eigenen wieder, die ich nämlich daran erkannte, daß sie rote Ecken hatten, von einem innen rot gefütterten Briefumschlag herrührend, in dem ich sie jahrelang verwahrt hatte. Es fehlten allerdings fünf einzelne Pfundnoten, die B. schon gewechselt hatte. Ich war am Tage unserer Abreise nach Amerika allein im Estoril Hotel geblieben, packte und übersiedelte aufs Schiff. Der mir fremde Hotelportier spürte, daß ich wegen des Fehlens meiner englischen Pfunde knapp an Geld war, und sagte: »Aber lassen Sie doch die Rechnung! Ich lege es für Sie aus... und Sie schicken mir das Geld von New York zurück.« Das hat mich wieder mit der Menschheit ausgesöhnt. LISSABON IST AUSVERKAUFT Eugen Tillinger ("Aufbau" vom 12.10.1940) Für jemanden, der diese Stadt von früher kennt, ist es geradezu unvorstellbar, wie sie sich innerhalb ganz kurzer Zeit verändert hat. Das Leben, das hier herrscht, steigert sich von Tag zu Tag. Immer neue Emigranten aus Frankreich und den von den Deutschen okkupierten Gebieten kommen an. Am Rossio Platz, im Zentrum der Stadt, hört man kaum ein Wort Portugiesisch. Hingegen vernimmt man so ziemlich sämtliche Sprachen und Idiome, die es gibt, vor allem aber Französisch, Englisch und Deutsch. Doch auch Polnisch, Holländisch und Flämisch klingt einem entgegen. Lissabon ist ausverkauft. Als Vergleich kann man vielleicht die paar Wochen in Salzburg während der alten Festspiele heranziehen: die Hotels sind überkomplett, man vermietet Badezimmer und legt Matratzen in die Korridore. Cafäs und Restaurants sind überfüllt. Seit vielen Jahren hat es so etwas hier nicht gegeben. Die Stadt lebt auf. Gewaltige Summen ausländischen Geldes sind ins Land gekommen und werden von den Fremden in Umlauf gebracht. Die Portugiesen wissen das aber auch zu schätzen und sind gegenüber den Fremden von einer bezaubernden Zuvorkommenheit. Offiziell ist man streng neutral ... Die Neutralität wird sogar in den Zeitungskiosken beachtet; die englische und deutsche Presse, Tageszeitungen und Magazine hängen nebeneinander und zwar immer in Parität: 10 Tageszeitungen aus London müssen neben 10 Tageszeitungen aus Berlin hängen usw. | | | "Danke für die zweite Lebensrettung" - Telegramm Franz Werfels aus Estoril an Rudolf Kommer vom 19. September 1940 | | >top DIE "NEA HELLAS" - DAS LETZTE SCHIFF IN DIE FREIHEIT Die "Nea Hellas" wurde ursprünglich als "Tuscania" für die Anchor Lines von Fairfield Shipbuilding Ltd. zwischen 1919 and 1921 gebaut. Der griechische Reeder Leonidas Goulandris kaufte die "Tuscania" und taufte sie um in "Nea Hellas" , deren erste Reise 1939 stattfand. Mehr über die "Nea Hellas": members.aol.com/nea%20hellas/neahellas.html | | | Die "Nea Hellas", das letzte offizielle Schiff von Lissabon nach New York 1940 mit der griechischen Flagge | aus ALMA-MAHLERS AUTOBIOGRAPHIE "MEIN LEBEN": Wir hatten endlich Kabinen im letzten griechischen Schiff >Nea Hellas<. Das Schiff war mäßig, die Billetts teuer, das Essen zum Abgewöhnen schlecht. Kurz vor unserer Abreise von Marseille war unser Gepäck aus Bordeaux angekommen, wurde sofort nach New York weiterbefördert, wobei wieder ein Teil verloren ging, diesmal aber endgültig. Das Meer war langweilig, wie immer, denn nur die Küsten sind interessant, und auch nur die von Menschen besiedelten. Sonst ist die Monotonie in der Natur groß. Wir können die absolute Größe nicht in uns aufnehmen. Heinrich Mann blieb in seiner Kabine, weil ihm schlecht war. Auch war er böse auf die Welt Als sein Neffe Golo ihn besuchen ging, lag er im Bett und zeichnete gerade Weiber mit großen Busen, manchmal auch nur letztere allein. Auf dieser Reise waren wir der Welt wirklich abhanden gekommen. Nichts von außen konnte uns berühren. Der Erlebnisdruck der letzten Monate, die Ahnung, ja Gewißheit einer vollkommenen Freiheit waren überwältigend. Wir gingen kaum auf Deck - lagen meist in unseren Kabinen, lasen und sprachen. Die Übungen mit den Rettungsgürteln und Jacken machten wir nicht mit. Wir schleppten uns müde in den verwahrlosten Speisesaal. Die )Nea Hellas( war ein altes griechisches Schiff und machte vermutlich ihre letzte Fahrt, denn die Kriegsgerüchte verdichteten sich täglich. Die verdorbenen Speisen waren ekelhaft. Mitten im Ozean wurde der Krieg mit Griechenland proklamiert. >top NEW YORK Mutig und voll neuer Hoffnung stiegen wir am 13. - ja, leider am 13. Oktober 1940 an Land. Zu unserem Unglück sollte die ominöse Zahl recht behalten. 13. Oktober 1940 - New York Endlich - endlich standen wir wieder auf wahrhaft freiem Boden, und das Vorausgegangene versank in die Nacht des Vergänglichen. Hätte ich mich nicht vor den andern geniert - ich hätte den Boden Amerikas geküßt. Die Ankunft im New Yorker Hafen ist wie immer ein grandioses Erlebnis. Wir wurden von einer großen Menge von Freunden am Pier erwartet, alle hatten Tränen in den Augen und wir nicht minder. | | | | Oben: Alma beim Verlassen der Nea Hellas in Hoboken, New Jersey am 13. Oktober 1940. Hinter ihr (tw. verdeckt) Nelly Mann, die Ehefrau Heinrich Manns. Links: Zeitungsbericht der New York Times vom 14. Oktober 1940: Die geflohenen Autoren, darunter Franz Werfel, Alfred Polgar, Heinrich und Golo Mann wurden noch am Pier interviewt. Sie beschrieben den Weg der Flucht nur ungefähr, um die zurückgebliebenen Personen, die die Flucht noch vor sich hatten, nicht zu gefährden. | | 28. Dezember - Chicago Auf dem Wege nach Kalifomien. Heute sind wir hier angekommen, nachdem wir fast zehn Wochen in New York zubrachten. Es war dort ein bißchen zuviel Trubel, aber wichtig und reich war die ganze Zeit. Viel Liebe, viele Freunde, große Bewegung - und das Glück der Freiheit! >top > weiter zu "MEIN LEBEN" (aus Almas Autobiographie) | | | | | |